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Der Cellist von Sarajevo

Titel: Der Cellist von Sarajevo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Galloway
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ist unbeschädigt, obwohl diese Gegend weitaus besser davongekommen ist als viele andere. Ein Volkswagen neben ihm wurde von einer Granate getroffen. Er sieht aus, als wäre er von einem riesigen Daumen zusammengedrückt worden wie ein Teigklumpen. Die Windschutzscheibe wurde herausgesprengt, die Fahrertür abgerissen. Kenan glaubt, dass der Wagen einem Mann gehört, der im zweiten Stock des Hauses auf der anderen Straßenseite wohnt. Schwer zu sagen. Als Kenan ihn das letzte Mal sah, hat der Mann nichts davon erwähnt, dass sein Auto zerstört wurde, aber so etwas erwähnt man auch nicht mehr.
    Links von ihm ist die Versorgungsstation, die in einem ehemaligen Lebensmittelmarkt im Erdgeschoss eines Nachkriegsbaus ohne Aufzug eingerichtet wurde. Die Türen sind geschlossen, aber er geht trotzdem hin und hofft, dass dort vielleicht eine Ankündigung hängt, wann der nächste Versorgungskonvoi erwartet wird. Oftmals wird im Voraus bekannt gegeben, welche Waren zur Verfügung stehen, damit die Leute wissen, was für Taschen und Behälter sie mitbringen müssen. Als er näher kommt, sieht er, dass keine Mitteilung aushängt. Seit der letzten Hilfslieferung sind Wochen vergangen, vielleicht mehr als ein Monat.
    Er wendet sich wieder der Straße zu und sieht einen Mann, den er kennt, einen Soldaten. Ismet lächelt, ändert die Richtung und kommt auf ihn zu. Als der Krieg ausbrach, war Ismet einer der ersten, die zum Militär gingen. Vor dem Krieg war er Taxifahrer, aber sein Wagen wurde zerstört, und jetzt läuft er die fast acht Kilometer bis zur Front im Norden, beim Fernsehsender, zu Fuß. Für gewöhnlich verbringt er vier Tage an der Front und kehrt dann für vier Tage nach Hause zurück, zu seiner Frau und seiner kleinen Tochter. Spätnachts kommt er manchmal zu Kenans Wohnung und berichtet ihm von den Kämpfen. Er hat ihm erzählt, dass er sich mit einem anderen Mann ein Gewehr teilen musste, dass sie zwanzig Kugeln hatten, dass sie den Auftrag hatten, drei Panzer aufzuhalten, die auf einem Höhenzug vorrückten. Die ganze Zeit waren sie sich darüber im Klaren, dass sie nichts ausrichten konnten, falls die Panzer vorstießen. Ihre Munition wäre im Nu verbraucht und würde sowieso nichts ausrichten. Sie hatten die ganze Nacht lang Angst und zuckten jedes Mal zusammen, wenn sie ein Geräusch hörten. Als der Morgen anbrach, war Ismet so froh wie nie zuvor, und sein Freund ebenfalls. Ein paar Stunden später, als sie in einem behelfsmäßigen Bunker kurz hinter der Front schliefen, schlug eine Granate ein paar Meter vor ihnen ein, und Ismets Freund wurde getötet. Ismet erzählte das alles mit ausdrucksloser Miene, aber als er zum Ende kam, lächelte er und lachte ein bisschen vor sich hin. Als Kenan ihn fragte, warum, schaute Ismet ihn an, als hätte er nicht zugehört. »Wir haben die Nacht überlebt«, sagte er. »Das war alles, was wir uns gewünscht haben. Es war kurzsichtig, aber wir haben es bekommen, und darüber waren wir froh. Ob wir noch ein paar Stunden weiterleben durften oder fünfzig Jahre, hat keine Rolle gespielt.«
    In solchen Momenten fragt sich Kenan, warum er es nicht über sich bringt, zum Militär zu gehen. Bislang konnte er der Einberufung entgehen, hat sich von den Männerbanden ferngehalten, die durch die Stadt fahren und unwillige Wehrpflichtige aufgreifen. Solange er die Wasserflaschen bei sich hat, ist er in Sicherheit, da niemand so dreist ist, ihn bei diesem lebenswichtigen Versorgungsgang abzufangen. Aber er weiß nicht, wie lange das noch so gehen wird, wie lange es dauern wird, bis jemand an seine Tür klopft und ihm ein Gewehr in die Hand drückt.
    Klar, er ist kein junger Mann mehr. Und er ist in schlechter körperlicher Verfassung, muss sich um drei Kinder kümmern und besitzt keinerlei Fähigkeiten, die für das Militär von Nutzen sind. Aber nehmen würde man ihn trotzdem. Männer, die älter sind, größere Familien haben und noch weniger für den Kampfeinsatz geeignet sind, haben sich freiwillig gemeldet oder wurden eingezogen. Aber er nicht. Er kennt den wahren Grund.
    Er hat Angst vor dem Tod. Zwar kann er jederzeit sterben, ob er beim Militär ist oder nicht, aber er hat das Gefühl, dass er als Zivilist weniger gefährdet ist, und wenn er getötet werden sollte, wäre es ungerecht, während ein Soldat von Berufs wegen mit dem Tod zu tun hat. Wenn er beim Militär landet, wird er außerdem früher oder später jemanden töten müssen. Und sosehr er sich vor dem Sterben

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