Der Cellist von Sarajevo
ihm, und er lächelt leicht. Er öffnet die Augen, und ein kleines Loch tut sich zwischen ihnen auf. Sein Hinterkopf zerplatzt, und graue Hirnmasse klatscht hinter ihm an die Wand. Er kippt rücklings um, und sein Gewehr fällt auf ihn.
Strijela senkt das Gewehr und blickt auf die Straße hinab. Der Cellist ist fertig. Er nimmt seinen Hocker und das Cello und geht zu seiner Tür. Er hält kurz inne, bevor er eintritt, und sie fragt sich, ob er in ihre Richtung schauen wird. Auch wenn er sie unmöglich sehen kann, möchte sie, dass er sich ihr zuwendet, sie gewissermaßen wahrnimmt. Der Cellist fasst sein Instrument fester und verschwindet im Haus.
Kenan
Die Brauerei ist schwer beschädigt und teilweise baufällig, aber die Quellen liegen tief unter der Erde, und der Keller des Gebäudes trotzt selbst den Männern auf den Bergen, was sie jedoch nicht von dem Versuch abgehalten hat, das hellrote Gebäude dem Erdboden gleichzumachen. Die Brauerei könnte an keiner gefährlicheren Stelle stehen und wurde auch schon mehrmals mit Mörsern beschossen. Bislang ist das noch nicht an den Tagen geschehen, an denen Kenan hier war.
Davor stehen etwa hundert Menschen nach Wasser an. Kenan war schon hier, als bis zu dreihundert Menschen anstanden, und er ist froh, dass er diesmal nicht stundenlang warten muss. Mit Wasserschläuchen, die aus der Brauerei auf die Straße führen, werden große, auf Stützen ruhende Rohre gespeist, aus denen wiederum kleinere Schläuche ragen. Kenan schätzt, dass etwa zwanzig Menschen gleichzeitig Wasser holen können, und die meisten haben ungefähr so viele Behälter wie er, deshalb dürfte es nicht allzu lange dauern, bis er an der Reihe ist. Die Schlange rückt stetig vor, auch wenn es so scheint, als käme sofort ein anderer hinzu, sobald jemand mit seinem Wasser weggeht.
Vorn in der Schlange steht ein Mann, der einen Hund dabei hat. Es ist ein mittelgroßer Hund, eine Art Terrier mit bräunlichem, gekräuseltem Fell. An seinem Halsband hängt eine Thermosflasche, und bevor der Mann seine Behälter füllt, schraubt er die Kappe der Thermosflasche ab und füllt sie. Er stellt sie auf den Boden, und während er vier große Kanister füllt, schleckt der Hund das Wasser aus der Thermosflaschenkappe, als handle es sich um einen Wettkampf. Als der Mann mit seinen Kanistern fertig ist, füllt er die Thermosflasche des Hundes und schraubt die Kappe auf. Kein Tropfen ist übriggeblieben. Er hängt die Thermosflasche an das Hundehalsband und lädt seine Kanister auf einen selbstgebastelten Karren, mit dem er sie abtransportiert.
Kenan hat überlegt, ob er einen Karren nehmen soll, ist aber zu dem Schluss gekommen, dass zu viele Trümmer auf den Straßen liegen, die die Räder blockieren oder den Weg versperren könnten, so dass er am Ende länger brauchen würde als jetzt. Während er nun zusieht, wie viel Wasser der Mann abtransportiert, fragt er sich jedoch, ob er es beim nächsten Mal nicht auch versuchen soll. Wenn er seine beiden Reserveflaschen füllen und vielleicht irgendwo noch ein paar andere auftreiben könnte, müsste er den Weg nicht so oft zurücklegen.
Die Menschen an den Zapfstellen beeilen sich, so gut sie können, da sich keiner lange aufhalten möchte, aber man kommt nur selten aus dem Haus und unter Menschen, und die Gelegenheit zu einem Schwatz hier und einem Scherz dort lassen sich einige nicht entgehen. Es ist laut hier im Rauschen des Wassers, dem Lärm der Menschen und der großen Lastwagen, die das Wasser wer weiß wohin bringen, vielleicht zu den Truppen an der Front. Wenn er darüber hinwegsieht, weshalb er hier ist, kann er sich beinahe vorstellen, dass alles normal und das hier eine alltägliche Straßenszene ist. Er versucht, das Ganze ein bisschen verschwommen zu sehen, möchte glauben, dass er auf einem Markt ist. Dass die Menschen über ein Konzert oder ein Fußballspiel reden. Es tut gut, hält aber nur einen Moment lang an, weil eine Frau ihm zuruft, dass er sich zu einer freien Zapfstelle begeben soll.
Er murmelt eine Entschuldigung und tritt vor. Das Wasser strömt aus den Rohren und pladdert zu seinen Füßen auf den Asphalt. Kenan hat nie begriffen, weshalb man keine Hähne anbringt, damit man das Wasser zwischendurch abstellen kann. Es kommt ihm wie eine fürchterliche Vergeudung des kostbaren Gutes vor. Er hat sein Leben riskiert, um zu diesem Wasser zu gelangen, Wasser, das er nirgendwo anders bekommt, und hier läuft es auf den Boden, als wäre es
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