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Der Cellist von Sarajevo

Titel: Der Cellist von Sarajevo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Galloway
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seinen Sohn und seine jüngere Tochter, und sich darüber klar sein, wie glücklich er ist und dass er sich nichts davon jemals wieder nehmen lassen wird.
    Aber all das wird ihm genommen. Die Musik ist vorüber, die letzten Töne verklingen. Er ist wieder auf der Straße, auf der zweiundzwanzig Menschen getötet wurden, als sie nach Brot anstanden. Vielleicht wurden die Toten von einem blauen Kleinbus weggebracht. Vielleicht sind ihre Köpfe nach hinten gekippt, als sie eingeladen wurden, so als wollten sie einen letzten Blick auf die Straße werfen, auf der sie umkamen.
    Der Cellist lässt die Hände sinken, öffnet die Augen. Er nimmt die Menschen ringsum nicht zur Kenntnis, und sie applaudieren nicht. Ein paar Leute haben Blumen zu seinen Füßen niedergelegt, aber sie sind nicht für ihn. Kenan wünschte, er könnte ihm auch etwas dalassen. Aber er hat lediglich Wasser und fünfzehn deutsche Mark. Damit kann er nichts ausrichten.
    Der Cellist steht auf, nimmt seinen Hocker, wendet sich von der Straße ab, tritt in einen Hauseingang und ist weg. Kenan fragt sich einen Moment lang, ob er überhaupt da war. Die Menschentraube löst sich nach und nach auf, bis nur noch Kenan und eine alte Frau übrig sind. Sie steht da und betrachtet den Blumenhaufen und den Trichter auf der Straße, wo die Mörsergranate einschlug.
    Sie wendet sich an Kenan. »Meine Tochter«, sagt sie. »Sie wollte hier Brot kaufen.«
    Kenan ist sich nicht sicher, warum ihm die alte Frau das erzählt.
    »Sie hat gar keines gebraucht, aber ich habe sie gebeten zuzusehen, ob sie für mich welches kriegt.« Die alte Frau spricht leise und ruhig. Er findet, dass ihr Tonfall nicht zu dem passt, was sie ihm erzählt.
    Er überlegt, was er zu ihr sagen könnte, irgendetwas Sinnvolles, das ihr Trost oder Hoffnung spendet, ihr Kraft gibt, aber ihm fällt nichts ein. Er nickt ihr zu und spürt, wie sich seine Brust zusammenschnürt.
    »Was soll ich meinen Enkeln sagen, wenn sie fragen, wie ihre Mutter gestorben ist?« Sie wendet sich ab, und Kenan wird klar, dass sie keine Antwort erwartet. Er kann ihr auch keine geben. Schweigend stehen sie da und betrachten die Straße und die Blumen. Hinter ihnen, irgendwo am linken Ufer des Flusses, schlägt eine Granate ein, aber keiner von beiden zuckt zusammen. Nach einer Weile schickt sich die alte Frau zum Gehen an.
    »Hat Ihre Tochter das Cello gemocht?«, fragt Kenan zu seiner eigenen Verwunderung. Er weiß nicht, warum er das gefragt hat, weiß nicht recht, warum das eine Rolle spielt. Die Frau bleibt stehen, und er befürchtet, dass er alles noch verschlimmert hat, etwas Ungehöriges gesagt hat.
    »Ich weiß es nicht«, sagt sie. »Mir hat sie nichts davon gesagt.«
    »Ich glaube, sie mochte Musik«, sagt er und meint es auch, ist davon überzeugt.
    Die alte Frau dreht sich um und schaut ihn an, aber er hat keine Ahnung, was ihr durch den Kopf geht. Sie atmet tief durch und lächelt leicht. Dann nickt sie zweimal, wendet sich ab und läuft die Straße entlang.
    Kenan bleibt noch eine Weile, nimmt dann sein Wasser und geht zum Markt zurück. Er will gerade die Straße überqueren, als er Ismet sieht. Er feilscht mit einem Mann, fuchtelt mit den Händen herum. Der Mann gibt nicht nach, jedenfalls sieht es nicht so aus. Ismets Hände sinken herab, er lässt die Schultern ein bisschen hängen, greift kopfschüttelnd in seine Hosentasche und holt drei Schachteln Zigaretten heraus. Er legt sie auf den Tisch, worauf ihm der Mann ein paar Scheine reicht.
    Kenan sieht, wie Ismet mit den Scheinen zu einem Stand mitten auf dem Markt geht und sie bei einer Frau gegen einen kleinen Sack Reis eintauscht. Den hat ihnen die Außenwelt geschickt, und obwohl die Hilfsmittel nicht verkauft werden sollen, geschieht es trotzdem. Kenan weiß, dass Ismet für diese Zigaretten sein Leben aufs Spiel gesetzt hat, dass er sie von der Armee anstelle des Soldes bekommt. Jetzt hat er gesehen, wie sein Freund sie für etwas eingetauscht hat, was es eigentlich umsonst geben sollte, aber nicht gibt, weil schmierige Männer in Trainingsanzügen und feinem Zwirn sich bereichern.
    Von Grbavica aus fallen Schüsse, und ab und zu hört er Granaten am linken Ufer einschlagen, aber auch weiter westlich, in Richtung Flughafen. Die Männer auf den Hügeln sind heute beschäftigt. Ihr Geschäft geht gut, und sie werden viele Kunden haben. Er denkt an die Frau, deren Tochter getötet wurde, als sie nach Brot anstand, und fragt sich, wie viele solche

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