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Der Chancellor

Titel: Der Chancellor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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uns Niemand hören!
    – So sprechen Sie! ...
    – Ich möchte ..., und seine Stimme wurde noch leiser, ich wünsche, daß Sie André von meinem Ersparten anbieten ...
    – Aber können Sie das nicht selbst? ...
    – Nein, nein! Er würde glauben, daß ich mich für ihn beraubt habe ... er würde es nicht annehmen ... nein, es muß von Ihnen kommen ...
    – Mr. Letourneur! ...
    – Aus Mitleiden, bittet mich der unglückliche Vater, aus Erbarmen leisten Sie mir diesen Liebesdienst, den größten, um den ich Sie angehe ... übrigens ... für Ihre Bemühung ...«Mr. Letourneur ergreift meine Hand und streichelt sie zärtlich.
    »Für Ihre Bemühung können Sie ja auch ein wenig davon essen!...«
    Armer Vater! Bei seinen Worten zittere ich wie ein Kind! Mein ganzes Wesen ist in Aufregung und mein Herz arbeitet zum Zerspringen. Gleichzeitig fühle ich, wie Mr. Letourneur ein Stück Schiffszwieback in meine Hand gleiten läßt.
    »Nehmen Sie sich in Acht, daß Niemand Sie gewahr wird, sagt er. Die Ungeheuer fielen über Sie her und tödteten Sie! Das ist nur für einen Tag, doch morgen werde ich Ihnen ebenso viel übergeben!«
    Der Unglückliche traut mir nicht! Vielleicht hat er recht, denn so wie ich das Stück Zwieback in meinen Händen fühle, kann ich's mir kaum verwehren, es zum Munde zu führen!
    Doch, ich habe mich überwunden, und wer diese Zeilen liest, wird begreifen, was meine Feder jetzt nicht zu schildern vermag.
    Mit der in diesen niedrigen Breiten eigenthümlichen Schnelligkeit ist die Nacht hereingebrochen. Ich schleiche mich vorsichtig zu André Letourneur und biete ihm das kleine Stückchen Zwieback an, »so als ob es von mir käme«!
    Der junge Mann erfaßt es mit Begierde.
    »Und mein Vater?« sind seine nächsten Worte.
    Ich versichere ihm, daß sein Vater auch seinen Theil hat ... ich den meinen, daß ich ihm morgen ... die folgenden Tage auch noch so viel würde zukommen lassen können! ... Er möge es nur nehmen ... nur nehmen! ...
    André hat mich nicht gefragt, woher dieserZwieback komme, und hat ihn schleunig zum Munde geführt.
    Und diesen Abend habe ich trotz Mr. Letourneur's Angebot nichts gegessen ... gar nichts!

XL.
    Am 7. Januar.
    Seit einigen Tagen spült das Meer fast unaufhörlich über die Plattform des Flosses hinweg, und hat nach und nach die Füße einiger Matrosen wund gemacht. Owen, den der Bootsmann seit der Revolte im Vordertheil gefesselt hält, ist in bejammernswerthem Zustande, und seine Bande werden auf unsere Bitten hin gelöst. Auch Sandon und Burke haben durch das ätzende Salzwasser mehr oder weniger gelitten, und sind wir Andern nur deshalb davon verschont geblieben, weil das Hintertheil des Flosses den Wellen weniger ausgesetzt ist.
    Heute hat sich der Hochbootsmann in wüthendem Hunger auf das Segelzeug, so wie auf Holzstücke gestürzt, und noch immer höre ich seine Zähne diese Stoffe zermalmen. Der Unglückliche sucht nur seinen Magen zu füllen, um die Schleimhäute desselben wieder einmal auszudehnen. Zuletzt findet er an einem der Maststücke, welche die Plattform tragen, ein Stück Leder. Dieses Leder ist ja eine thierische Materie, deren er sich bemächtigt, sie verzehrt, und mit welcher er sich doch einige Erleichterung zu verschaffen scheint. Alle thun es ihm nach. Ein Hut von gummirtem Leder, die Sturmriemen der Mützen, jede animalische Substanz wird angenagt. Unstreibt ein bestialischer Instinct, dem Niemand zu widerstehen vermag. Einen Augenblick scheint es, als ob wir aller menschlichen Eigenschaften beraubt wären, und niemals werde ich diese Scenen vergessen!
    Wenn auch der Hunger nicht eigentlich zu stillen war, so ist doch sein Drängen eine Zeit lang unterdrückt. Einige unter uns konnten diese Art Nahrung freilich nicht einmal vertragen und fingen darauf an, an Uebelkeiten zu leiden.
    Man verzeihe mir diese Einzelheiten! Ich mag Nichts verhehlen, was die Schiffbrüchigen des Chancellor zu leiden hatten! Man wird aus diesen Berichten erfahren, welches moralische und physische Elend menschliche Wesen zu ertragen im Stande sind! Das verleihe diesem Tagebuche seinen Werth! Ich werde nichts verschweigen, und leider ahnet mir, daß wir unsere Leiden noch nicht erschöpft haben!
    Eine Beobachtung, die ich während der oben erwähnten Scene zu machen Gelegenheit hatte, bestärkt mich in meinem Verdacht gegen den Steward. Trotzdem daß Hobbart sein Jammern nicht unterbrach, ja es wo möglich noch übertrieb, hat er sich bei jener Scene nicht betheiligt.

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