Der Chaos-Pakt
scheint grenzenlos und das passt nicht zu dem Wunsch, es müsse ein Gleichgewicht herrschen.« Er hielt inne, als er ein leichtes Stechen im Schädel spürte. Machte er sich etwas vor? »Ich bin so schlimm wie alle anderen«, fügte er hinzu. »Wir mussten überleben. Wir haben es geschafft. Dann brauchten wir Schutz und etwas Bequemlichkeit. Wir haben es erreicht. Dann wollte ich mir nicht immer Gedanken über das machen, was Ryba gerade im Sinn hatte ...« Er zuckte die Achseln. »Es geht einfach immer weiter. Natürlich würde es helfen, wenn wir die Dinge ins Gleichgewicht bringen können. Aber wie sollen wir die Cyadoraner daran hindern, ganz Candar zu erobern? Wir können ihnen doch nicht einfach sagen, dass sie alles aus dem Gleichgewicht bringen.«
Ayrlyn blickte zu einem sterbenden verkrüppelten Baum neben der Straße. »Ich weiß es nicht. Noch nicht. Aber es ist klar, dass hier noch mehr als an anderen Orten die Dinge am Ende ins Gleichgewicht kommen.«
Nylan dachte nach. War es wirklich so? War es ein Gleichgewicht, das darauf beruhte, dass die Kräfte gleich stark waren? Oder siegte am Ende doch nur derjenige, der die größere Macht besaß? Einseitige Machtkonzentrationen wie Cyador und Westwind konnten sich anscheinend lange halten.
XCIX
E s war immer noch heiß, als sie im Zwielicht, ein orangefarbenes Glühen im Rücken, über den letzten Hügel ritten. Im Tal unter ihnen, im Südosten, funkelten ein paar Lichtpunkte – die Fackeln an der Scheune, die den Truppen aus Lornth als Unterkunft diente, und die Lichter vor dem Hauptquartier.
Vor dem purpurn verfärbten Himmel und den dunkelbraunen Hügeln, die sich bis in die Unendlichkeit zu erstrecken schienen, wirkten die paar Lichter im Lager vergänglich und klein ... unbedeutend. Aber war wirklich etwas wichtig, abgesehen von dem, was die Menschen auf ihrer Suche nach dem Sinn für wichtig hielten? Spielte das überhaupt eine Rolle? War Fornals Glaube an die Ehre, den er nicht einmal aufgeben wollte, wenn die Ehre in den Untergang führte, nicht ebenso vergänglich wie wichtig und vielleicht sogar noch verständlicher als die Bemühungen der Engel, Lornth in eine weniger stark unterdrückte, freiere Gesellschaft zu verwandeln? Besonders da die Ehre in dieser Gesellschaft eine Funktion hatte?
»Beides ist unwichtig«, meinte Ayrlyn leise. »In größeren Zusammenhängen jedenfalls. Ein Mensch zu sein bedeutet, in einem Universum einen Sinn zu suchen, wo Ordnung und Chaos weitgehend bedeutungslose Strukturen bilden, die halbwegs im Gleichgewicht zu sein scheinen.«
»Du bist zynisch«, sagte Nylan lachend.
»Aber natürlich.«
»Wada, Enyah? Wadah ham?«, verlangte Weryl.
Sylenia drehte sich im Sattel herum und gab dem Jungen einen Schluck aus der Wasserflasche.
Auf dem Rückweg nach Syskar hatten sie so wenig gesprochen wie die drei Bewaffneten. Sogar die Wächter nickten nur knapp, als die Heimkehrenden in den Hof ritten und die Pferde absattelten und striegelten.
Lewa kam etwa zwanzig Schritte aus dem Quartier heraus und betrachtete sie, dann verschwand er wieder im Zwielicht.
Nylan und Ayrlyn gingen zur Tür hinauf. Dort am Haus war es wärmer als auf dem Hof. Nylan trug Weryl, Sylenia folgte ihm mit ein paar Schritten Abstand. Die Scharniere, die Nylan angefertigt hatte, quietschten, als er die Tür öffnete.
Fornal saß allein auf dem einzigen Hocker am wackligen Tisch. Auf dem Tisch standen ein Becher, eine Flasche und eine Laterne mit einer Kerze, daneben lag eine Schriftrolle. »Willkommen, Ihr Engel.« Fornal starrte die halb leere Flasche auf dem Tisch an, dann seinen Becher. »Es wird Euch freuen, dass meine Mitregenten die Kupferlieferung gut gebrauchen konnten.«
»Ja, das freut uns.«
»Ser?«, murmelte Sylenia.
Nylan drehte sich um und gab ihr Weryl. Mit einem raschen Nicken in Fornals Richtung ging sie um die Engel herum in ihr Zimmer. Die Satteltaschen klatschten gegen den Türrahmen, ehe sich die Tür mit einem dumpfen Knall schloss. Die Engel traten ganz hinein und ließen sich zur Linken des Regenten auf der Bank nieder.
Hinter der geschlossenen Tür war ein leises Lied zu hören, ein Schlaflied. Nylan lächelte.
Die Kerze flackerte in der Glasröhre, deren dicker Rußbelag kaum noch Licht durchließ. Die Schatten zuckten wild auf den Wänden hin und her.
Nylan wischte sich mit dem Unterarm die Stirn ab.
»Sogar mir ist heiß, Ser Engel«, räumte Fornal ein.
»Ihr wisst, dass wir an diese Hitze nicht
Weitere Kostenlose Bücher