Der Chaos-Pakt
Herbst. Ich habe es dir gesagt und es entspricht der Wahrheit. Es hat keine anderen gegeben, weil es mir nicht gelingt, mich auf das Körperliche zu beschränken. Ich bin nicht Gerlich, ich war es nie. Und ich kann kaum darüber reden.«
»Das ist mir schon lange klar und ich habe versucht, verständnisvoll zu sein.« Ayrlyn schüttelte den Kopf. In ihren Augen funkelte es feucht.
»Aber dann ... warum?«, fragte er hilflos.
Ayrlyn entfernte sich von der Zufahrt und trat auf die Straße hinaus. Sie drehte sich zum Höhenzug um und ließ Nylan hinter sich stehen.
Er folgte ihr und wiederholte die Frage. »Warum?«
»Verstehst du es denn nicht, Nylan? Ich will nicht betteln und kriechen.« Die Heilerin mit dem hellroten Haar ging entschlossen in Richtung Brücke.
Nylan eilte ihr hinterher, bis er neben ihr gehen konnte. Eine Weile sprach keiner mehr. Er hoffte, sie würde noch etwas sagen, aber sie schwieg.
»Kannst du dir vorstellen, dass ich auch nicht gern betteln will?«, fragte er schließlich.
»Betteln? Wo du nur mit dem kleinen Finger winken musst und schon kriecht jede Wächterin im Turm in dein Bett?« Ayrlyn blieb mitten auf der kleinen Brücke stehen und wandte sich nach Osten um, dem grellen Schein der Morgensonne entgegen, die langsam die weiße Fläche abzuschmelzen begann. Hinter der Klippe erhoben sich in der Ferne die dunklen Bäume des Hochwaldes. Die immergrünen Pflanzen hatten bereits das weiße Winterkleid abgelegt.
»Du bist mir nicht so vorgekommen, als würdest du kriechen«, sagte er langsam, »und ich habe nicht den Finger gekrümmt, wie du es ausdrückst, um jemanden zu mir zu winken.«
»Nein, ich werde auch nicht kriechen, für niemanden. Und du hast Istril nicht weggeschickt. Ganz im Gegenteil.«
Nylan seufzte. »Es kam mir nicht richtig vor, dass sie in meinem Bett lag, und es kam mir nicht richtig vor, sie wegzuschicken. Besonders nicht, weil sie gesagt hat, dass sie mit dir geredet hätte. Sie lügt nicht.«
»Das ist ein wundervoller Grund. Ich bin mit ihr ins Bett gegangen, weil sie nicht lügt.«
Nylan zuckte zusammen, als hätte ihn ein Pfeil aus Lornth getroffen. »So meinte ich das nicht. Es war nicht so einfach.«
»Glaubst du, für mich war es einfach? Du solltest doch inzwischen wissen, wie ich mich fühle. Aber du stehst nur da und siehst mich an, als hätte ich vier Köpfe oder würde mit jedem Wort Chaos und Feuerkugeln spucken.«
Nylan starrte die kalten Steine der Brücke vor seinen Füßen an. Nach einem Moment überwand er sich, Ayrlyn in die Augen zu sehen. »Kannst du es mir glauben, wenn ich sage ...« Er schluckte und musste sich überwinden, die Worte auszusprechen. »Wenn ich sage, dass ich wegen deiner Ehrlichkeit manchmal vor dir mehr Angst habe als vor den Magiern, gegen die ich gekämpft habe?«
Sie wich seinem Blick nicht aus, sondern wartete ab.
»So ehrlich bin ich nicht. Ich bin nicht einmal besonders tapfer. Ich wollte nie ein Anführer sein, das weißt du. Wie kann ein Mann, der tief in seinem Inneren buchstäblich alles fürchtet ... wie kann so jemand die Leute anführen? Wie kann ich dich bitten ...«
Ein leichtes Lächeln spielte um ihre Lippen. Es war wie der erste Sonnenstrahl nach einem Unwetter. »Gerade so, wie du es eben getan hast ... indem du ehrlich mit mir bist ... indem du nicht mehr versuchst, der starke Ingenieur zu sein, an den niemand herankommt. Ich will dich nicht als Helden, ich will keine männliche Ausgabe von Ryba haben. Ich habe auch meine Ängste, Nylan. Jeder hat sie. Du auch. Ich kann damit zurechtkommen. Ich kann nur nicht mit einem Mann zurechtkommen, der vor sich selbst davonläuft.«
Der vor sich selbst davonläuft ... o ja, das tust du. Der Ingenieur leckte sich die Lippen, ignorierte die Eiskruste, die sich auf ihnen gebildet hatte, und gab eine halb ausweichende Antwort. »Ja, ich habe noch ... ich habe noch viel zu lernen.«
»Ich auch. Willst du es mit mir zusammen lernen?«
»Wenn du vorsichtig mit mir umgehst ... diese Art von Ehrlichkeit ist schwer«, räumte er ein.
»Es ist immer schwer, ehrlich zu sein. Es ist nie leicht zu lieben.« Ihre Augen waren braun, weich und tief. Er stürzte in sie hinein und fragte sich, warum er nicht gesehen hatte, was offensichtlich war. Er griff nach ihren Händen und stand mit ihr auf der Brücke, die er gebaut hatte, im kalten Frühling in Westwind.
XII
D er weiß gewandete Magier stand im Bug des Kahns auf dem erhöhten Teil des Decks direkt
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