Der Chaos-Pakt
die Straße breit genug, um zwei Wagen aneinander vorbeifahren zu lassen, auch wenn sie nach wie vor holprig und unbefestigt blieb.
»Eine wohlhabende Stadt, wie es scheint«, sagte Nylan.
»Das sind die gefährlichen Städte.« Ayrlyn sah nach vorn. Auf dem flachen Hügel nordöstlich der Stadt stand ein Komplex von Gebäuden mit weißen Wänden, die an eine neorationalistische Villa erinnerten – nicht, dass Nylan jemals eine solche aus nächster Nähe gesehen hatte. Er kannte sie nur aus Trideofilmen.
»Das muss der Wohnsitz des örtlichen Fürsten sein, oder wie auch immer sie hier genannt werden.«
»Fürsten oder Grundbesitzer. Man spricht sie mit ›Herr‹ oder ›Ser‹ an«, erklärte Ayrlyn.
Weryl winkte aufgeregt und Nylan brach gehorsam eine Ecke vom harten Biskuit ab.
»Du hast ihm eine Menge Kekse gegeben.«
»So viel war es gar nicht. Der Teig dehnt sich in seinem Mund aus und die Hälfte spuckt er sowieso wieder aus. Aber er bleibt damit wach und vergnügt und das bedeutet, dass wir besser schlafen können. Ist dir das noch nicht aufgefallen?«
»Ich habe bemerkt, dass er jetzt nachts besser schläft. Das gilt aber nicht für seinen Vater, dieses lüsterne Ungeheuer.« Sie lächelte ihn an.
»Bisher sind mir noch keine Klagen zu Ohren gekommen.«
»Würdest du denn überhaupt zuhören?«
Nylan hatte Mühe, sich ein Grinsen zu verkneifen. Es war wohl besser, die Unterhaltung nicht weiter fortzusetzen.
Am Fuß des Hügels, bevor sie nach Duevek hineinkamen, ritten sie an einem weiß getünchten Haus mit rotem Ziegeldach und passendem Nebengebäude, vermutlich einer Scheune oder einem Stall, vorbei. Im Pferch neben dem Stall standen Schweine.
»Eindeutig ein wohlhabender Ort«, sagte Nylan.
Dunkle Flecken auf der Straße verrieten ihm, dass man einige Schlaglöcher aufgefüllt hatte, und sogar die kleineren Häuser waren frisch gestrichen oder verputzt.
Abwesend hielt Nylan Weryl die Wasserflasche hin, während die Pferde sie zum Hauptplatz der Stadt trugen. Es war der erste Platz, den Nylan sah, der seinen Namen verdiente. Ringsherum standen Gebäude, in der Mitte des Platzes gab es sogar eine Art winzigen Park – ein mit Mauern eingefriedetes Stück Wiese mit Büschen, aus deren Mitte sich die Statue eines bewaffneten Reiters erhob, der ein kleines Zweihandschwert erhoben hatte.
Ein grün gerahmtes Schild mit einer großen goldenen Katze hing vor dem weiß gestrichenen Gasthof in einem Rahmen aus grün gestrichenem Metall. Anders als beim ersten Gasthof, den Nylan gesehen hatte – bei Essins Schwarzem Stier – trug hier das Schild des Wirtshauses nicht nur das Abbild des Tiers, sondern auch den Namen, wenngleich in Alt-Anglorat, in frischen grünen Buchstaben.
Als sie auf den Platz ritten, lugte ein schmaler Mann in dunkelgrünem Hemd aus der Tür einer Werkstatt, möglicherweise eine Möbeltischlerei. Sein Blick fiel zuerst auf Ayrlyn, dann betrachtete er Nylan. Abrupt trat er ins Freie, schloss hinter sich leise die Tür und eilte den gepflasterten Weg zum nächsten Gebäude hinunter, einem schmalen Haus, über dessen Tür ein Korb und ein halbes Fass hingen. Auch dort wurde eilig die Tür geschlossen und jetzt eilten drei Gestalten – einer davon der Mann mit dem grünen Hemd – in verschiedene Richtungen über den Platz.
Drei Schankmädchen kamen aus der Goldenen Katze geschossen und verriegelten rasch alle Läden im Erdgeschoss, um gleich darauf wieder zu verschwinden und die mit Eisen bewehrte Vordertür ebenso fest zu verschließen. Zwei Frauen in brauner Kleidung, die schwere Körbe trugen, machten abrupt kehrt und rannten zurück in eine Seitenstraße. Die beiden Körbe ließen sie auf der Veranda vor der Küferwerkstatt stehen.
»Reite weiter«, sagte Ayrlyn.
»Sind die Leute hier immer so freundlich?«, fragte der Schmied.
»Dies hier ist noch höflich«, erklärte Ayrlyn. »Sei dankbar, dass uns keine Meute mit eisernen Geräten und Fackeln entgegenmarschiert kommt.«
»Oh.«
Aus dem Stall neben der Goldenen Katze stürmte ein Reiter und trieb sein Pferd an. Im Galopp sprengte er nach Norden davon, den beiden Engeln voraus. Der Reiter sah sich nicht um, sondern ritt, als wäre ein ganzer Trupp bewaffneter Engel hinter ihm her.
»Das sieht nicht gut aus«, warnte Ayrlyn. »Lass uns etwas schneller reiten.«
Nylan ließ seine Stute in schnellem Schritt weiterlaufen und fragte sich, welches Unheil ein einzelner Reiter überhaupt noch ankündigen mochte, nachdem
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