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Der Chefarzt

Titel: Der Chefarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Argirov Valentin
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werden.

2
    Der Pathologe Thimm stand mit Antonio Dellongas Herz in der linken Hand vor dem Sektionstisch, Spülwasser tropfte von seinem Gummihandschuh auf den grauen Zementboden. »Die Katheterspitze hat die Herzkammer schon vorher durchbohrt«, sagte er zu Bertram. »Das Blut ist durch das Loch durchgeschossen, als man den Katheter entfernt hat.«
    Mit einem flachen Messer schnitt er den prallgefüllten Herzbeutel auf. »Das Blut im Herzbeutel hat das Herz geradezu erdrückt, fast gleichzeitig ist er gestorben. Es war ein Sekundentod.« Er hielt die Hand mit dem Herz seinem Assistenten hin, der es mit kaltem Wasser aus einem Gummischlauch abspülte.
    »Du hast dir nichts vorzuwerfen. Im wesentlichen.« Thimm versuchte ein Mitgefühl in seiner Stimme zu unterdrücken. »Er wäre auf jeden Fall gestorben. Bei jeder Kammerkontraktion wurde durch die Druckerhöhung etwas Blut an dem Katheter vorbei in den Herzbeutel gepreßt. Sein Tod war nur mehr eine Frage der Zeit.«
    »Nein«, sagte Bertram.
    »Durch deine Anordnung wurde die Sache lediglich beschleunigt, Johannes. Du hast nicht wissen können, daß die Katheterspitze schon durch war. Deine Annahme vom Katheter war klinisch richtig.«
    »Es war ein Fehler«, sagte Bertram.
    »Eine Unzulänglichkeit, die man dir nicht anlasten kann.«
    »Ich brauche kein Mitleid. Diese Unzulänglichkeit hat das Leben dieses Mannes gekostet. Du versuchst mich zu schonen, wozu? Wir beide kennen die Wahrheit.«
    »Du bist immer so gescheit«, sagte Thimm gereizt. »Beantworte mir die Frage: Woher hättest du wissen können, daß der Katheter schon durch war? Jedenfalls nicht gleich bei der ersten Untersuchung. Du sagtest, du hättest ihn zuvor nicht gesehen.«
    Bertram nickte müde. »Es kommt nicht darauf an, was ich nicht getan habe. Ich hätte es wissen müssen, ich hätte es mir denken können. Jetzt ist es zu spät.«
    »Sogar dann gab es nur noch die Möglichkeit, ihn operieren zu lassen, den Katheter nicht anzurühren, bevor man den Brustkorb und den Herzbeutel aufgemacht hatte, um das Loch zu schließen. Was aber nicht schon bedeutet, daß er durchgekommen wäre.«
    »Es war seine Chance«, sagte Bertram kühl.
    Der Pfleger, der hinter Thimm stand, hatte das gleichgültige Gesicht einer Toilettenfrau. Bertram verspürte wieder den Reiz in seinen Augen und dachte, daß er viel zu lange nicht mehr im Sektionssaal gewesen war. Früher hatte er tagtäglich einen Teil seiner Zeit hier verbracht, er hatte nach Bestätigung gesucht und aus den Fehlern gelernt, ein junger, strebsamer Arzt. Jetzt kam er viel zu selten her, das letzte Mal, als Stephan Elisabeth Kerckhoff seziert hatte.

Wechsel der Jahreszeiten
1
    Aus dem Städtchen seiner Flucht schrieb Bertram an Elisabeth Kerckhoff:
    »Meine Arbeit geht gut voran. Hier liegen die Kliniken und Institute überall verstreut. Das Bild der Stadt wird von Studenten geprägt.
    In der Klinik, wo ich tätig bin, gibt es den Klinikchef und vier Oberärzte. Es gibt drei verfeindete Lager, die einen regen Krieg führen. Es ist ein unterschwelliger Kampf mit der Höflichkeit kultivierter Menschen. Vielen wird dabei das Rückgrat gebrochen. Wie bei jedem Krieg geht es um Einflußbereiche.
    Die meisten meiner Kollegen erwarten, daß ich als erster Oberarzt Partei gegen meinen Chef ergreife. Das läßt mich unberührt, hausinterne Machtkämpfe haben mich nie interessiert. Diese Menschen sind gewohnt, in festen Kategorien zu denken, für sie ist kein Feind nicht zwangsläufig willkommener als der Feind selbst. Zu meinen anderen Verpflichtungen habe ich freiwillig die Krebsambulanz übernommen, eine Tätigkeit, die sich hier keiner Beliebtheit erfreut und von allen gemieden wird. Ich möchte mich der Frage der Kombinationsbehandlung widmen, darin sehe ich die Chance der heutigen Medizin, die sinnvolle Ergänzung von verschiedenen Behandlungsmethoden. Zur Zeit versuche ich, Kollegen von anderen Fachrichtungen dafür zu gewinnen.
    Nanjas Tod ist ein großer Verlust, ich habe viel an Dich gedacht. Was wird aus Deinem Haus? Wie steht es mit Deiner Gesundheit? Du solltest Dich, wie bisher, zweimal im Jahr untersuchen lassen, am liebsten würde ich es selbst tun (ich bin nach wie vor eingebildet). Falls mein Vorschlag, hierherzukommen, Dir zusagt, werde ich mich freuen, Dich zu sehen.«
    Bald darauf bekam Bertram eine Antwort von der Gräfin. In diesem Brief, in dem Elisabeths Handschrift durch das Alter verändert war, beklagte sie sich über das freudlose

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