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Der Chefarzt

Titel: Der Chefarzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Argirov Valentin
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Dasein einer alten Frau, sie komme sich in ihrem ziellosen Leben überflüssig vor. Elisabeth teilte ihm mit, daß sie das Haus, ›zu groß und leer geworden‹, zu verkaufen gedenke, und schloß den Brief mit einem Vorwurf: »Mir erscheint bedenklich, daß Du nur von Deiner Arbeit sprichst. Es ist eine Art, sich unpersönlich zu geben, als würdest Du selbst nicht existieren. Du verleugnest Dein eigenes Ich, als wäre Dir jeder Verzicht willkommen. Das richtet sich nicht im geringsten gegen Deine berufliche Hingabe. Du bist jung und hast das Leben noch vor Dir. Was Deine Enttäuschung mit Malvina Auerbach betrifft, glaube ich nicht, daß die Schuld nur sie trifft.
    Der einzige Mensch, der für eine alte Frau etwas übrig hat, ist Stephan Thimm. Er kommt sonntags zum Tee und beklagt sich, Du hättest keinen seiner Briefe beantwortet. Was ich Dir ans Herz lege: Du solltest Gnade für Recht ergehen lassen, Hannes. Die Verbitterung, auch wenn noch so qualvoll, war nie ein Grund, sich das Leben zu versagen.«

2
    Der Mann in Bertrams damaligem Sprechzimmer hatte eine ungewöhnlich gut artikulierte Stimme, die bis ins Vorzimmer zu seiner Sekretärin drang. Er bemühte sich, leise zu sprechen. Sein Gesicht kam Bertram bekannt vor. »Ich wollte Sie wegen meiner Tochter sprechen, Herr Professor«, lächelte er. Der Charme dieses Lächelns bei einem so korpulenten Mann überraschte. »Ich komme nicht meinetwegen, obwohl ich … mir fehlt nichts. Ich bin zu fett und habe die üblichen Stoffwechselstörungen.« Er hielt einen Augenblick inne und sagte entschlossen: »Meine Tochter ist eine Kleptomanin.«
    Bertram unterdrückte seine Überraschung. »Kleptomanie ist ein Fall für den Psychiater. Ich bin Internist. Warum kommen Sie zu mir?«
    »Sie wurden mir empfohlen.« Er nannte den Namen eines einflußreichen Politikers, der Bertrams Patient war. Etwas in seiner Stimme ließ Bertram aufhorchen. »Sie wollten mich trotzdem konsultieren, obwohl ich kein Psychiater bin?«
    »Ja.«
    »Ich nehme an, Ihre Tochter wurde inzwischen behandelt?«
    »In den vergangenen zwei Jahren haben wir über ein Dutzend Ärzte aufgesucht.«
    »Ohne Erfolg?«
    »Es wurde immer schlimmer, bis sie …« Er schien verlegen.
    »Wie alt ist sie?«
    »Im Dezember wird sie einundzwanzig.«
    »Hat sie einen Beruf?«
    »Sie ist Studentin … äh, sie war es, bis vor kurzem.«
    »Was studierte sie?«
    »Biologie. Sie ist naturwissenschaftlich begabt.« Der Stolz in seiner Stimme war unüberhörbar.
    »Warum hat sie aufgehört?«
    »Sie ist sehr nervös. Zittert am ganzen Leib. Das ist für einen Vater … furchterregend. Sie kann sich nicht mehr konzentrieren. Ich finde, sie hat sich verändert.«
    »Meinen Sie ihr Aussehen?«
    »Ihr Wesen hat sich verändert. Sie ist nicht mehr die alte, ich erkenne mein Mädchen nicht mehr. Wir hatten ein wunderbares Vater-Tochter-Verhältnis, wir verstanden uns, sie hing an mir und ich an ihr, wir hatten schöne Zeiten.«
    »Und jetzt?«
    »Ich glaube, sie haßt mich. Die meiste Zeit bin ich ihr gleichgültig, sie meidet meine Gesellschaft. Oft bekommt sie, völlig unbegründet, Wutanfälle. Sie nennt mich einen Reaktionär. Früher war sie ein guterzogenes Kind, scheu …«
    »Ihre einzige Tochter?«
    »Sie ist ein Einzelkind. Meine Frau ist früh gestorben. Ein zweites Mal habe ich nicht geheiratet.«
    »Ich verstehe. Ich bin bereit, Ihre Tochter zu untersuchen, und möchte Sie zugleich vor verfrühtem Optimismus warnen. Ich muß mir zunächst ein Bild von ihrer Erkrankung machen. Dann werden wir weitersehen. Ist sie mitgekommen?«
    »Sie sitzt im Wartezimmer. Ich werde sie gleich hereinholen. Unser Gespräch bitte ich auch auf Ihre Rechnung zu setzen. Warum lächeln Sie?«
    »Sie scheinen keine besonders gute Meinung von den Ärzten zu haben!«
    »Es ist halb so schlimm. Ich habe meine Erfahrungen gemacht. Ich nehme an, Sie wissen, wer ich bin?«
    »Um offen zu sein, nein. Mein Gedächtnis läßt mich im Stich. Ich versuche die ganze Zeit, Ihr Gesicht einzuordnen.«
    »Mein Name ist Lothar Hessel. Jetzt können Sie sich meine Lage vorstellen. Hessels Tochter eine Nymphomanin …«
    »Ist sie das auch?«
    »In der letzten Zeit brachte sie Männer nach Hause, die sie auf der Straße aufgelesen hatte. Soll sie jetzt reinkommen?«
    »Ich möchte zunächst mit ihr allein sprechen.«
    »Gewiß«, sagte Hessel bereitwillig, »ich bleibe solange im Wartezimmer. Es macht mir nichts aus.«
    Erst jetzt wußte Bertram, wen

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