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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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war angenehm, sich endlich ausstrecken zu können), starrte in das Licht und dachte nach…
    Man mußte sich hüten vor voreiligen Schlüssen. Schließlich, auch wenn die Frau des Armenvaters gestorben war, bedeutete das keinen Gewinn für den Hungerlott… Es war eine verkachelte Geschichte. Am Abend hatte man mit dem Vorsteher der Armenanstalt gejaßt und feststellen können, daß der Mann gut spielte; er mußte einen Trumpf, er mußte einen Bock in der Hinterhand haben, denn – und dies war nicht schwer festzustellen gewesen – der Hausvater spielte gut, er spielte mit Überlegung, nicht aufs Geratewohl… Wenn er den Wortlaut des Testamentes kannte, dann hatte er sicher einen Gegenzug parat, um den Wottli aus dem Felde zu schlagen. Schließlich riskiert ein gebildeter Mann nicht zwanzig Jahre Zuchthaus wegen vorsätzlichen Giftmordes, nur um ein Vermögen zu ergattern, von dem er genau weiß, daß er es doch teilen muß. Studer dachte ganz klar und das Schnarchen seines Zimmergenossen störte ihn nicht, sondern begleitete seine Denktätigkeit wie ein angenehmes Liedlein…
    Und noch eines durfte man nicht vergessen: Großräte, Ärzte kamen morgen zu Gast. War dieses der Trumpf?
    Halt! Obacht! Nicht in den Fehler verfallen, nur einen Schuldigen zu sehen… Der Gartenbaulehrer Wottli war auch an der Sache interessiert… Es genügte nicht, daß er kein unsympathischer Mensch war, seine alte Mutter unterhielt und sich hinaufgearbeitet hatte… Es sprach einiges gegen ihn. Die Erbschaft am Thunersee z.B. Der blutige Schlafanzug war in ein Papier eingewickelt gewesen, auf dem seine Adresse gestanden hatte – und die Adresse war ausradiert worden. Wer wußte von der Ausräucherung des Gewächshauses durch Blausäure? Der Lehrer Wottli… Wer trug den Schlüssel zum Gewächshaus stets bei sich? Der Lehrer Wottli. – Das einzige, was für den Mann sprach, war die Tatsache, daß sein Motiv nicht deutlich zu sehen war. Was konnte den Lehrer zu zwei Morden getrieben haben? Aber schließlich, er hatte das neue Präparat zur Samenbeize in seinem Besitz, er experimentierte mit ihm. .. konnte man sich nicht vorstellen, daß dieser Wottli sich in die junge Frau Hungerlott verliebt hatte, daß er abgewiesen worden war und die Frau aus Rache vergiftet hatte?… Und wenn einige Schüler Bescheid wußten, so kannte sich Ernst Äbi sicher am besten aus… – Hatte sich ausgekannt!… Vielleicht wußte auch das Knechtlein etwas?
    »Ludwig!«, das Schnarchen wurde schwächer, »Ludwig!«
    Der Bursche fuhr im Bett auf: »Hä? Was isch passiert?«
    »Los einisch, Bürschtli!« Ob er auch etwas davon gemerkt habe, daß der Lehrer Wottli in die Frau Hungerlott verliebt gewesen sei…
    Das Knechtlein rieb sich die Augen. Zuerst verstand es nicht, wovon die Rede war, und der Wachtmeister mußte seine Frage dreimal wiederholen. Endlich war Ludwig im Bilde. – Ja, an jenem 18. Juli habe er die beiden gesehen; sie seien zusammen spazieren gegangen…
    – Was denn die Frau Hungerlott für eine gewesen sei, wollte der Wachtmeister wissen.
    »E schöns Wyb!« Die Augen des Burschen leuchteten. – Eine feste Postur, meinte er, streng sei sie auch gewesen, aber sie habe immer noble Kleider getragen und häufig sei sie nach Bern zum Coiffeur gefahren, um sich frisieren zu lassen… und ihri Kralle hett sie agstryche…
    Dem Wachtmeister fiel das Trili-Müetti ein und die Beschreibung, die das Weiblein von der Hausmutter gegeben hatte…
    »Ah, und noch eins: sie hat immer die Buchhaltung geführt…«
    »So… so… die Buchhaltung!« meinte Studer. Diesmal war sein Gähnen herzhaft und echt – ein Gähnen ohne Hintergedanken. Er fühlte, wie seine Lider schwer wurden: »Tue denn nid z'vill schnarche, Ludwig!«
    »Ja, Herr Wachtmeister…«
    »Und lösch's Liecht!« Nach fünf Minuten schliefen beide und keiner störte den anderen… Es wäre sogar schwierig gewesen, festzustellen, wessen Schnarchen lauter dröhnte, das des Wachtmeisters oder das des Ludwig Farny…

Lehrer Wottli will verreisen
    Studers letzte Gedanken vor dem Einschlafen waren gewesen: »Der Fall ist so weit fortgeschritten, daß Pressieren nur schaden kann.« Deshalb beschloß er auszuschlafen. Erst um 9 Uhr erschien er mit seinem Gehilfen Ludwig im Gastzimmer, wo der Uralte vor einem Tische saß und durch eine verbogene Stahlbrille die Zeitung studierte. Als der Wachtmeister unter der Tür erschien, empfing ihn der Wirt mit einem freundlichen Grinsen:
    »Pfründisberg

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