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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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– niemand hatte jemals so zu ihm gesprochen und Gedanken bestätigt, die manchmal in ihm aufstiegen. Und nun ging da neben ihm ein älterer Mann, dessen mageres Gesicht eigentlich nicht zu dem mächtigen Körper paßte, und sprach diese Gedanken aus, die nur wie Larven durch seinen jungen Kopf gekrochen waren, gab ihnen Form, ließ sie flattern und durch die Luft gaukeln wie bunte Schmetterlinge…
    »Märci«, sagte Ludwig. Studer blickte zur Seite, sah das freudige Gesicht und verstand dies Dankeswort, trotzdem es eigentlich keine Beziehung zu seinen Ausführungen hatte.
    »Ja, Ludwig, du wirst jetzt reich werden«, meinte Studer. »Aber wenn du dann Geld hast, darfst du nicht vergessen, daß du einmal ein Armenhäusler gewesen bist. Du hast im Walde gehaust und Körbe geflochten mit dem Mädchen Barbara – warum? – nur um frei zu sein. Freiheit… Heutzutage weiß man ja nicht mehr, was eigentlich Freiheit ist…«
    »Wart hier auf mich«, sagte Studer und stieß die Türe auf, die in die Halle der Gartenbauschule führte. Stille. Nur das Brünnlein murmelte und die Chrysanthemen rochen nach Friedhof. Kein Mensch im langen Gang; hinter der Türe, gegenüber vom Direktionsbureau, sprach eine eintönige Stimme und Studer erkannte sie wieder.
    »… und somit ist Arsen der Grundstoff für einige Schädlingsbekämpfungsmittel. Auch in Beizmitteln läßt er sich nachweisen, in Uspulun…« Studer klopfte scharf an und öffnete die Türe.
    Auf den Bänken, die sich in drei Reihen aufbauten, saßen Schüler. Sie nickten Studer zu. Dann beugten sich die Köpfe wieder über die aufgeschlagenen Hefte, Füllfederhalter kratzten – die Schüler schrieben nach.
    Der Lehrer Wottli wurde rot und es war nicht ein natürliches Erröten, sondern ein fleckiges.
    »Wa… wa… as wünschet Ihr?«
    »Einen Moment nur, wenn Sie so gut sein wollen.«
    »Aber gern.«
    Der Lehrer folgte dem Wachtmeister auf den Gang hinaus. Studer trat ins Direktionsbureau – es war leer – bat den Lehrer zu warten, schloß dann die Türe und telephonierte. Das Gespräch dauerte eine Weile, endlich war er fertig und wußte, daß Ernst Äbis Leiche in einer Stunde geholt werden würde. Auf dem Gange rief er nach Ludwig Farny, übergab ihm den Schlüssel zur Eingangstür des Gewächshauses und trug ihm auf, dort zu warten. Niemand dürfe den Raum betreten außer den zwei Sanitätspolizisten. Und nachher solle Ludwig die Türe wieder schließen. Ob er verstanden habe?
    »Ja… Studer« – »So ist's recht!«
    Wottli hatte sein selbstsicheres Wesen ganz verloren. Der große, magere Mann stand mit gesenktem Kopfe mitten im Gang, seine Hände lagen gefaltet auf seiner Brust. Er tat dem Wachtmeister leid – denn Studer hatte ein weiches Herz.
    »Zeigt mir zuerst noch das Pult des Verstorbenen«, sagte er bittend. »Dann können wir zusammen an irgendeinen Platz gehen, wo wir nicht gestört werden. Welchen schlagt Ihr vor, Wottli?« (Wottli! Ein Versuch war diese Anredeform – wie würde der ›Herr Lehrer‹ darauf reagieren?)
    »Mein Zimmer, Studer… Wenn Euch das recht ist.«
    Der Versuch war gelungen und der Wachtmeister freute sich. Der knochige Mann war nicht mehr hart – er würde sprechen. Und sicher hatte er viel zu erzählen… Nun schwieg er eine Weile und Studer wartete geduldig. Endlich:
    »Macht's Euch nichts aus, Studer, allein ins Klassenzimmer zu gehen? Ich mag nicht mehr. Einer der Schüler wird Euch schon das Pult vom Äbi zeigen. Wollt Ihr?« Der Wachtmeister nickte. Die Durchsuchung des Pultes war sicher nutzlos – aber man mußte sie dennoch vornehmen, um sagen zu können, man habe seine Pflicht getan.
    Er behielt recht. Hefte, Hefte, Hefte – alle glichen sie den Wachstuchheften, die man an einem Juliabend unter einer hellen Lampe gesehen hatte. Und sicher stammten die damals gesehenen Hefte aus dem gleichen Geschäft wie diese hier. Titel: »Gemüsekultur.« – »Düngerlehre.« – »Treibhaus.« – »Obstbaumlehre.« Und so weiter… Die Buchstaben in Blockschrift… »Stauden.« Beim rothaarigen Amstein bedankte sich der Wachtmeister. Dann trat er wie ein Lehrer vor die schwarze Tafel und hielt eine Ansprache: – Er hoffe, sagte er, die Schüler wüßten Bescheid. Eine Untersuchung sei hier im Gange, und bis dies zu Ende sei, müsse er die Anwesenden bitten, die Schule nicht zu verlassen. Es sei dies zwar nur eine Formsache, aber immerhin… Jetzt habe er mit dem Lehrer, der draußen auf ihn warte, eine Zeitlang zu

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