Der Chinese
zu dem Moment vorlaufen, in dem Wang in die Kamera blickte. Da hielt er an. Vivi Sundberg war jetzt auch interessiert. Sie zog die Vorhänge an den nächstgelegenen Fenstern zu. Die Bilder wurden deutlicher.
»Wang Minhao«, sagte Birgitta Roslin. »Wenn das sein wirklicher Name ist. Aus dem Nirgendwo taucht er am 12. Januar hier in Hudiksvall auf. Er übernachtet in einem kleinen Hotel, nachdem er aus einem Restaurant ein Band von einer Papierlampe mitgenommen hat. Das Band findet sich später am Tatort in Hesjövallen wieder. Woher er kommt und wohin er von hier aus geht, weiß ich nicht.« Robertsson hatte vorgebeugt am Fernseher gestanden, jetzt setzte er sich. Vivi Sundberg öffnete eine Flasche Ramlösa. »Seltsam«, sagte Robertsson. »Ich nehme an, Sie haben sich vergewissert, dass das rote Band wirklich aus dem Restaurant stammt.«
»Ich habe sie verglichen.« »Was läuft hier eigentlich?« sagte Vivi Sundberg heftig. »Führen Sie eine parallele Privatuntersuchung durch?«
»Ich wollte nicht stören«, sagte Birgitta Roslin. »Ich weiß, wie viel Sie um die Ohren haben. Eine fast unvorstellbare Belastung. Schlimmer als bei dem Wahnsinnigen, der Anfang des 20. Jahrhunderts auf einem Mälardampfer eine Menge Menschen erschossen hat.«
»John Filip Nordlund«, sagte Robertsson beflissen. »Ein Rabauke von damals. Er sah aus wie unsere heutigen Hooligans mit glattrasiertem Schädel. Am 17. Mai tötete er auf einem Dampfer zwischen Arboga und Stockholm fünf Menschen. Er wurde enthauptet. Was unsere heutigen Schläger nicht mehr werden. Und die Person, die die Greuel in Hesjövallen begangen hat, auch nicht.«
Vivi Sundberg schien unbeeindruckt von Robertssons historischen Kenntnissen. Sie ging hinaus auf den Flur. »Ich habe veranlasst, dass die Lampe aus diesem Restaurant hergeholt wird«, sagte sie, als sie zurückkam.
»Sie machen erst um elf auf«, sagte Birgitta Roslin. »Dies ist eine kleine Stadt«, sagte Vivi Sundberg. »Wir holen den Besitzer, damit er uns aufmacht.«
»Passt nur auf, dass der Pressemob nicht dahinterkommt«, warnte Robertsson. »Was werden das für Schlagzeilen! ›Chinese hinter Hesjövalls-Massaker? Fahndung nach schlitzäugigem Wahnsinnigem.‹«
»Nach unserer Pressekonferenz heute Nachmittag ist das kaum zu erwarten«, sagte Vivi Sundberg.
Also hatte die junge Frau in der Vermittlung recht, dachte Birgitta Roslin sofort. Es ist etwas passiert, was heute Nachmittag präsentiert werden soll. Deshalb sind sie nur mäßig interessiert.
Robertsson hatte einen gewaltigen Hustenanfall und bekam einen hochroten Kopf. »Zigaretten«, sagte er. »Ich habe so viele Zigaretten geraucht, dass sie aneinandergelegt einer Strecke von Stockholms Zentrum bis südlich von Södertälje entsprechen. Ungefähr von Botkyrka an waren es Filterzigaretten, was die Sache aber nicht besser gemacht hat.«
»Kommen wir jetzt zur Sache«, sagte Vivi Sundberg. »Sie haben ja hier im Hause eine gewisse Unruhe und Irritation hervorgerufen.«
Jetzt kommen die Tagebücher, dachte Birgitta Roslin. Dieser Tag wird damit enden, dass Robertsson irgendeinen Anklagepunkt gegen mich ausgräbt. Es wird sich kaum um einen Übergriff in einem laufenden Verfahren handeln. Aber es gibt genug Paragraphen, mit denen er mir beikommen kann. Vivi Sundberg sagte jedoch nichts von den Tagebüchern, und Birgitta Roslin spürte plötzlich ein Einverständnis mit ihr. Was geschehen war, brauchte der hustende Kollege offenbar nicht zu erfahren.
»Wir gehen dieser Sache selbstverständlich nach«, sagte Robertsson. »Wir arbeiten voraussetzungslos. Aber wir haben keine anderen Spuren, die darauf hindeuten könnten, dass ein Chinese auf irgendeine Art und Weise in den Fall verwickelt wäre.«
»Die Mordwaffe?« fragte Birgitta Roslin. »Haben Sie sie?« Weder Vivi Sundberg noch Robertsson antwortete. Sie haben sie gefunden, dachte Birgitta Roslin. Das wollen sie heute Nachmittag bekanntgeben. So muss es sein.
»Das können wir im Augenblick nicht kommentieren«, sagte Robertsson. »Warten wir auf diese Lampe und vergleichen wir die Bänder. Wenn sie übereinstimmen, geht diese Information in unsere Ermittlungen ein. Die Kassette behalten wir natürlich.«
Er zog einen Schreibblock zu sich und begann, Notizen zu machen. »Wer hat diesen Chinesen gesehen?«
»Die Kellnerin im Restaurant.«
»Ich esse häufig dort. Die junge oder die alte? Oder der
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