Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
Vom Netzwerk:
vom Klingeln ihres Handys. Es war Karin Wiman, die sich etwas verwundert bei ihr meldete. Als Birgitta Roslin ihr Anliegen erklärt hatte, bat Karin Wiman sie, ein Faxgerät zu suchen und ihr das Bild mit den Zeichen zu faxen.
     
    In der Rezeption war man ihr behilflich, anschließend kehrte sie auf ihr Zimmer zurück, um zu warten. Draußen war es inzwischen dunkel geworden. Bald würde sie zu Hause anrufen und sagen, sie habe es sich anders überlegt, das Wetter sei zu schlecht und sie würde noch eine Nacht bleiben.
     
    Um halb acht rief Karin Wiman an. »Die Zeichen sind nachlässig geschrieben, aber ich glaube, ich kann sie lesen.« Birgitta Roslin hielt den Atem an.
     
    »Es ist der Name eines Krankenhauses. Ich habe es recherchiert. Es heißt Longfu und liegt mitten im Zentrum von Peking an einer Straße mit Namen Meishuguan Houjie. In der Nähe liegt auch Chinas großes Kunstmuseum. Wenn du willst, kann ich dir einen Stadtplan schicken.«
     
    »Das wäre gut.«
     
    »Aber jetzt musst du mir erklären, warum du das alles wissen willst. Ich bin wahnsinnig neugierig. Hast du dein Interesse für China neu belebt?«
     
    »Vielleicht passiert das gerade. Ich erzähle dir später mehr. Kannst du den Plan an die Faxnummer schicken, die ich auch genommen habe?« 
    »Er ist in ein paar Minuten bei dir. Aber für meinen Geschmack bist du ein bisschen zu geheimnistuerisch.« 
    »Du musst etwas Geduld mit mir haben. Ich werde es schon erzählen.«
     
    »Wir sollten uns wieder einmal treffen.«
     
    »Du hast recht. Wir sehen uns viel zu selten.«
     
    Birgitta Roslin ging hinunter zur Rezeption und wartete. Das Fax mit einer Kopie von Pekings Stadtzentrum kam nach wenigen Minuten. Karin Wiman hatte einen Pfeil eingezeichnet.
     
    Birgitta Roslin spürte, dass sie hungrig war. Da das Hotel kein Restaurant hatte, holte sie ihre Jacke und ging in die Stadt. Den Stadtplan würde sie studieren, wenn sie zurückkam.
     
    In der Stadt war es dunkel, wenige Autos, vereinzelte Fußgänger. Der Mann an der Rezeption hatte ihr ein italienisches Restaurant in der Nähe empfohlen. Sie ging dorthin und aß in dem schwach besetzten Lokal.
     
    Es hatte wieder zu schneien begonnen, als sie auf die Straße trat. Sie machte sich auf den Rückweg zum Hotel. Plötzlich hielt sie inne und wandte sich um. Aus dem Nichts war das Gefühl gekommen, dass sie beobachtet wurde. Aber sie sah niemanden hinter sich.
     
    Sie hastete zum Hotel zurück und verriegelte die Zimmertür mit der Kette. Dann stellte sie sich hinter die Gardine und sah auf die Straße hinunter.
     
    Es war wie vorher. Keine Menschen. Nur der Schnee, der immer dichter fiel.
     
    In der Nacht schlief Birgitta Roslin unruhig. Sie wachte mehrmals auf und trat ans Fenster. Es schneite immer noch. Der Wind ließ an den Hauswänden hohe Schneewehen entstehen. Die Straßen waren leer. Gegen sieben Uhr wurde sie davon wach, dass Schneepflüge vorbeidonnerten. Bevor sie zu Bett gegangen war, hatte sie zu Hause angerufen und das Hotel genannt, in dem sie abgestiegen war. Staffan hatte zugehört, aber nicht viel gesagt. Er wundert sich bestimmt, hatte sie gedacht. Das Einzige, dessen er sicher sein kann, ist, dass ich ihm nicht untreu bin. Aber warum eigentlich? Sollte er nicht wenigstens den Verdacht haben, dass ich einen anderen gefunden habe, der sich meines Sexuallebens annimmt? Oder ist er so sicher, dass ich nie müde werde zu warten?
     
    Im hinter ihr liegenden Jahr hatte sie sich zuweilen gefragt, ob sie bereit war, sich einem anderen Mann zu nähern. Sie wusste es nicht. Vielleicht hauptsächlich deshalb, weil ihr noch keiner über den Weg gelaufen war, der sie anzog. Sie war enttäuscht und wütend, weil Staffan seiner Verwunderung darüber, dass sie ihre Rückkehr hinausschob, keinen Ausdruck verlieh. Zwar haben wir gelernt, nicht zu tief im Seelenleben des anderen zu graben. Jeder braucht intime Räume, die außer ihm keiner betreten darf. Aber es darf auch nicht so weit gehen, dass es einem gleichgültig wird, was der andere tut. Sind wir auf dem Weg dahin? Sind wir vielleicht schon an dem Punkt angekommen?
     
    Sie fühlte, dass die unumgängliche Aussprache mit Staffan gnadenlos näher kam.
     
    Ihr Zimmer war mit einem Wasserkocher ausgestattet. Sie machte sich eine Tasse Tee und setzte sich mit dem Stadtplan, den Karin Wiman geschickt hatte, in einen Sessel. Das Zimmer lag im Halbdunkel, nur von der Lampe neben dem Sessel und dem Licht des Fernsehers erleuchtet,

Weitere Kostenlose Bücher