Der Chinese
mürrische Vater in der Küche? Der mit der Warze auf der Stirn?« »Die junge.«
»Sie spielt abwechselnd die sittsam Schüchterne oder die heftig Flirtende. Ich glaube, sie ist gelangweilt. Noch jemand?«
»Noch jemand was?«
Robertsson seufzte. »Verehrte Kollegin. Sie haben uns alle verblüfft mit diesem Chinesen, den sie aus dem Ärmel geschüttelt haben. Wer hat ihn getroffen? Die Frage kann nicht einfacher sein.«
»Ein Neffe des Hotelbesitzers. Wie er heißt, weiß ich nicht. Aber Sture Hermansson hat gesagt, er befinde sich in der Arktis.«
»Diese Ermittlung beginnt mit anderen Worten unerhörte geographische Dimensionen anzunehmen. Erst kommen Sie mit einem Chinesen daher. Jetzt befindet sich ein Zeuge in der Arktis. Time und Newsweek haben über diese Geschichte geschrieben. Ich bin vom Guardian in London angerufen worden, ebenso hat die Los Angeles Times sich interessiert gezeigt. Hat jemand diesen Chinesen getroffen? Hoffentlich jemand, der sich nicht gerade in der endlosen australischen Wüste aufhält.«
»Es gibt eine Reinmachefrau im Hotel. Eine Russin.« Robertsson klang fast triumphierend, als er antwortete. »Was habe ich gesagt? Jetzt haben wir noch Russland dazu bekommen. Wie heißt sie?«
»Sie wird Natascha genannt. Sture Hermansson zufolge heißt sie aber anders.«
»Sie lebt vielleicht illegal hier«, sagte Vivi Sundberg. »Wir finden manchmal nicht nur Polen, sondern auch Russen.«
»Im Moment ist das uninteressant«, wandte Robertsson ein. »Gibt es noch jemanden, der diesen Chinesen gesehen hat?«
»Ich kenne niemanden«, sagte Birgitta Roslin. »Aber er muss ja irgendwoher gekommen und irgendwohin gefahren sein. Mit dem Bus? Mit dem Taxi? Er muss jemandem aufgefallen sein.«
»Das finden wir noch heraus«, sagte Robertsson und legte den Stift weg. »Wenn diese Information sich als wichtig erweisen sollte.«
Was du nicht glaubst, dachte Birgitta Roslin. Was für Spuren ihr auch haben mögt, du hältst sie für wichtiger.
Vivi Sundberg und Robertsson verließen das Zimmer. Birgitta Roslin fühlte sich erschöpft. Die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Entdeckungen etwas mit der Sache zu tun hatten, war natürlich verschwindend gering. Aus eigener Erfahrung wusste sie, dass sonderbare Tatsachen, die in eine bestimmte Richtung wiesen, häufig in die Irre führten.
Während sie wartete, ging sie mit zunehmender Ungeduld im Sitzungszimmer auf und ab. Staatsanwälte wie Robertsson hatten immer ihr Leben bevölkert. Weibliche Polizeibeamte saßen häufig als Zeuginnen in ihren Verhandlungssälen und hatten vielleicht nicht so rotes Haar wie Vivi Sundberg. Doch sie sprachen ebenso langsam und waren ebenso übergewichtig. Der zynische Jargon war allgegenwärtig. Auch unter Richtern konnten die Gespräche über Straftäter erstaunlich grob und herablassend sein.
Vivi Sundberg kam zurück, kurz darauf Robertsson zusammen mit Tobias Ludwig. Er hielt den durchsichtigen Plastikbeutel mit dem roten Band in der Hand, während Vivi Sundberg eine der Lampen aus dem Chinarestaurant trug. Die Bänder wurden ausgebreitet und verglichen. Es bestand kein Zweifel daran, dass sie zusammengehörten.
Sie setzten sich wieder um den Tisch. Robertsson fasste zusammen, was Birgitta Roslin berichtet hatte. Sie musste einräumen, dass er die Kunst des effektiven Referats beherrschte.
Anschließend hatte keiner Fragen bezüglich der Information, die sie bekommen hatten.
Nur Tobias Ludwig meldete sich zu Wort. »Ändert dies irgendetwas in Bezug auf die Pressekonferenz von heute Nachmittag?«
»Nein«, sagte Robertsson. »Es wird bearbeitet, aber zu gegebener Zeit.« Dann beendete Robertsson die Besprechung. Er schüttelte ihr die Hand und verschwand. Als Birgitta Roslin aufstand, warf Vivi Sundberg ihr einen Blick zu, den sie so deutete, dass sie noch bleiben sollte.
Als sie allein waren, schloss Vivi Sundberg die Tür und kam direkt zur Sache. »Es wundert mich, dass Sie sich weiterhin so energisch in diese Ermittlung einmischen. Natürlich haben Sie eine bemerkenswerte Entdeckung gemacht, als sie die Herkunft des roten Bandes aufgeklärt haben. Wir werden der Sache nachgehen. Aber ich glaube, Sie haben schon verstanden, dass wir im Augenblick andere Prioritäten haben.«
»Haben Sie denn eine andere Spur?«
»Wir werden am Nachmittag auf der Pressekonferenz darüber berichten.«
»Mir können Sie es vielleicht schon
Weitere Kostenlose Bücher