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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Taschentüchern die Eisenbahnstrecke unter gewaltigen Anstrengungen Meter um Meter weiter nach Osten zwangen.
     
    JA fuhr in seinen Aufzeichnungen damit fort, von fast allen, mit denen er arbeitete und für die er Verantwortung hatte, schlecht zu reden. Die Iren sind faul und versoffen, die wenigen Schwarzen, die die Eisenbahngesellschaft angestellt hat, sind stark, haben aber keine Lust, sich anzustrengen. JA sehnt sich nach Sklaven von den Karibischen Inseln oder aus dem amerikanischen Süden, von denen er hat erzählen hören. Nur Peitschenschläge können diese starken Männer dazu bringen, wirklich all ihre Kraft zu mobilisieren. Er wünscht sich, er könnte sie peitschen wie Ochsen oder Esel. Es gelingt Birgitta Roslin nicht, herauszufinden, welche Menschen er am wenigsten mag. Vielleicht die Indianer, die Ureinwohner Nordamerikas, über die er seine Verachtung ausgießt. Ihr mangelnder Arbeitswille, ihre tückische Verschlagenheit sind fast beispiellos unter all dem Abschaum, den er treten und prügeln muss, damit die Eisenbahnlinie sich weiterschlängelt.
     
    In regelmäßigen Abständen lässt er sich auch über die Chinesen aus, die er am liebsten in den Stillen Ozean treiben möchte, damit sie die Wahl haben, entweder zu ertrinken oder nach China zurückzuschwimmen. Aber er kann nicht bestreiten, dass die Chinesen tüchtige Arbeiter sind. Sie trinken keinen Alkohol, waschen sich und halten sich an Regeln. Ihre einzige Schwäche ist eine Vorliebe fürs Glücksspiel und für seltsame religiöse Zeremonien. JA versucht die ganze Zeit zu begründen, warum er diese Menschen nicht 294 mag, die ihm die Arbeit erleichtern. Aus einigen schwer zu entziffernden Zeilen meint Birgitta Roslin herauszulesen, dass sich abrackernde Chinesen genau hierzu geeignet waren, aber zu nichts anderem. Sie hatten ein Niveau erreicht, das nicht mehr durch Entwicklung angehoben werden konnte.
     
    Der Menschenschlag, von dem JA am meisten hält, kommt aus Skandinavien. Beim Eisenbahnbau gibt es eine kleine skandinavische Kolonie mit einigen Dänen, ein paar mehr Norwegern und einer größeren Gruppe von Schweden und Finnen. »Auf diese Burschen ist Verlass. Sie hintergehen mich nicht, solange ich ein Auge auf sie habe. Außerdem sind sie sich nicht zu schade, kräftig zuzupacken. Aber sobald ich ihnen den Rücken zuwende, verwandeln sie sich in genauso nutzloses Pack wie die anderen.«
     
    Birgitta Roslin schob das Tagebuch von sich und stand auf. Wer immer dieser Eisenbahnvorarbeiter war, sie fand ihn immer abstoßender. Sie zog etwas Warmes über und machte einen langen Spaziergang durch die Stadt, um wenigstens vorübergehend ihr Unbehagen abzuschütteln.
     
    Als sie in der Küche das Radio einschaltete, war es sechs Uhr. Die Nachrichtensendung begann damit, dass Robertssons Stimme eingeblendet wurde. Hinter Robertssons Stimme hörte man das Geräusch von Blitzlichtern und scharrenden Stühlen.
     
    Wie bei früheren Gelegenheiten war er klar und eindeutig. Der am Tag zuvor Festgenommene hatte jetzt gestanden, sämtliche Morde in Hesjövallen allein begangen zu haben. Um elf Uhr am Vormittag hatte er durch seinen Verteidiger verlangt, mit der Kriminalbeamtin sprechen zu dürfen, die das erste Verhör mit ihm geführt hatte. Er hatte auch auf der Anwesenheit des Staatsanwalts bestanden. Dann hatte er ohne weiteres die Sachverhalte gestanden, deretwegen er festgenommen worden war. Als Motiv gab er an, es habe sich um einen Racheakt gehandelt. Es würden noch einige Verhöre folgen müssen, bevor man ganz klären konnte, wofür er sich gerächt habe.
     
    Robertsson endete mit dem, worauf alle gewartet hatten. »Der Festgenommene heißt Lars-Erik Valfridsson. Er ist alleinstehend, arbeitet bei einer Firma für Sprengungs- und Schachtarbeiten und ist mehrfach vorbestraft wegen Körperverletzung.«
     
    Die Blitzlichter prasselten. Robertsson begann auf Fragen zu antworten, die er in dem Durcheinander, mit dem die Journalisten ihn überschütteten, kaum verstehen konnte. Die Radioreporterin schaltete sich ein. Sie gab zunächst einen Überblick über die Ereignisse. Birgitta Roslin ließ das Radio laufen, während sie den Teletext im Fernseher anschaute. Dort gab es nichts außer dem, was Robertsson gesagt hatte. Sie schaltete beides aus und setzte sich aufs Sofa. Etwas an Robertssons Stimme hatte sie davon überzeugt, dass er sicher war, den Täter gefunden zu haben. Sie hatte in ihrem Leben hinreichend viele Staatsanwälte

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