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Der Chinese

Der Chinese

Titel: Der Chinese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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die Rotgardistin bereit«, fragte er.
     
    »Ich habe mein kleines rotes Buch herausgesucht.« 
    »Gewürze«, sagte er. »Wenn du mir etwas mitbringen willst, dann Gewürze. Ich stelle mir immer vor, dass es in China Gerüche und Geschmacksnuancen gibt wie sonst nirgendwo.«
     
    »Was wünschst du dir noch?«
     
    »Dich, gesund und munter.«
     
    »Ich glaube, das kann ich versprechen.«
     
    Er bot ihr an, sie am nächsten Tag nach Kopenhagen zu fahren. Doch sie ließ sich nur zum Zug bringen. In der Nacht hatte sie Reisefieber und stand mehrmals auf, um Wasser zu trinken. Im Teletext hatte sie die Entwicklung der Ereignisse in Hudiksvall verfolgt. Mehr und mehr Tatsachen über LarsErik Valfridsson wurden bekannt, aber nichts erklärte eigentlich, warum die Polizei ihn verdächtigte, den Massenmord begangen zu haben. Die Empörung darüber, dass er hatte Selbstmord begehen können, hatte bereits in Form einer scharf formulierten Anfrage an den Justizminister den Weg in den Reichstag gefunden. Der Einzige, der immer noch Gelassenheit bewahrte, war Robertsson. Er blieb dabei, dass die Ermittlung weitergeführt wurde wie bisher, auch wenn der mutmaßliche Täter tot war. Aber er hatte auch die ersten Hinweise darauf gegeben, dass die Polizei anderen Spuren nachging, über die er sich jedoch nicht äußern könne. Da ist mein Chinese, dachte sie. Mein rotes Band. Mehrmals war sie versucht, Vivi Sundberg anzurufen. Doch sie verzichtete darauf. Wichtig war jetzt die bevorstehende Reise. Es war ein schöner und klarer Wintertag, als Staffan Roslin seine Frau zum Zug fuhr und ihr nachwinkte, als der Zug den Bahnhof verließ. In Kastrup checkte sie ohne Probleme ein; wie sie es wünschte, bekam sie einen Gangplatz auf beiden Flügen, nach Helsinki und nach Peking. Als die Maschine mit einer Bewegung abhob, die sie befreite wie von einer Art Fessel, lächelte sie dem alten Chinesen neben sich zu. Sie schloss die Augen, verzichtete bis Helsinki auf Essen und Trinken und dachte wieder zurück an die Zeit, als China ihr irdisches und ihr geträumtes Paradies gewesen war. Sie konnte sich über viele der verblüffend naiven Vorstellungen wundern, die sie damals gehabt hatte, nicht zuletzt über die, dass die Allgemeinheit in Schweden hätte bereit sein sollen, zu einem gegebenen Augenblick gegen die herrschende Ordnung zu revoltieren. Hatte sie das ernstlich geglaubt? Oder hatte sie nur ein Spiel mitgespielt?
     
    Birgitta Roslin erinnerte sich an ein Sommerlager in Norwegen 1969, zu dem sie und Karin von norwegischen Genossen eingeladen worden waren. Alles war außerordentlich geheim. Niemand durfte wissen, dass das Lager durchgeführt wurde. Alle Teilnehmer, und man wusste sehr wenig darüber, wer teilnehmen würde, erhielten Decknamen. Um den ständig wachsamen Klassenfeind noch weiter zu verwirren, wechselte man auch das Geschlecht, wenn man einen Decknamen bekam. Sie wusste noch, dass sie während des Sommerlagers Alfred gewesen war. Ihr war mitgeteilt worden, den Bus nach Kongsberg zu nehmen und an einer bestimmten Haltestelle auszusteigen. Dort sollte sie abgeholt werden. Sie hatte im strömenden Regen an dem einsamen Halteplatz gestanden und zu denken versucht, dass sie den Widerspruch zwischen dem Regen und ihrer Stimmung jetzt mit revolutionärer Geduld aufheben musste. Schließlich hatte ein Lieferwagen angehalten. Ein junger Mann hinterm Steuer hatte sich murmelnd als Lisa vorgestellt und sie aufgefordert einzusteigen. Das Lager war auf einem verwilderten Feld abgehalten worden, auf dem die Zelte in Reihen standen. Es war ihr gelungen, ihren Schlafplatz gegen einen Platz im gleichen Zelt einzutauschen, in dem auch Karin Wiman lag. Karin hieß Sture, und jeden Morgen hatten sie vor flatternden roten Fahnen Gymnastik gemacht. Während dieser Woche im Lager hatte sie unter der konstanten Anspannung gestanden, keine Fehler zu machen, nichts Falsches zu sagen, sich nicht konterrevolutionär zu verhalten. Der entscheidende Augenblick, als sie vor Angst fast in Ohnmacht gefallen wäre, war, als sie an einem der Tage aufgefordert wurde, aufzustehen und sich vorzustellen, natürlich unter dem Namen Alfred, und zu erzählen, was sie im zivilen Leben trieb, was die Tatsache verbarg, dass sie auf dem Weg war, eine stahlharte Berufsrevolutionärin zu werden. Aber sie schaffte es, sie war nicht durchgefallen, und ihr Sieg war total, als einer der Lagerleiter, ein großer dreißigjähriger Mann namens Kajsa mit Tätowierungen,

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