Der Chinese
was bleibt dann? So hatte sie oft gegrübelt. Unter den Verlierern auf den Alkibänken war ein dunkelhäutiger Mann. Auch hier fand das neue Schweden allmählich seine Identität.
Birgitta Roslin lächelte. »Der Frühling ist gekommen«, sagte sie.
»Ich bin hier, um Ihnen zu sagen, dass Hong tot ist.« Was Birgitta Roslin erwartet hatte, hätte sie nicht sagen können. Aber nicht das. Es traf sie wie ein Schlag. Und es war nicht Trauer, sondern sofort Angst.
»Was ist passiert?«
»Sie ist auf einer Reise nach Afrika bei einem Autounfall umgekommen. Ihr Bruder war dabei. Aber er blieb unverletzt. Vielleicht war er nicht einmal im Wagen. Details kenne ich nicht.«
Birgitta Roslin starrte Ho stumm an, ließ die Wörter einsinken, versuchte zu verstehen. Über den farbenfrohen Frühling fielen plötzlich Schatten. »Wann ist es passiert?« »Vor einigen Monaten.«
»In Afrika?«
»Die liebe Hong gehörte einer Delegation nach Zimbabwe an. Unser Handelsminister Ke war der Führer der Delegation, deren Besuch als sehr wichtig angesehen wurde. Bei einem Ausflug nach Mosambik geschah das Unglück.« Zwei der Betrunkenen begannen plötzlich, sich anzubrüllen und aufeinander einzuschlagen.
»Wir gehen«, sagte Birgitta Roslin und stand auf. Sie nahm Ho mit in eine Konditorei in der Nähe, wo sie fast die einzigen Gäste waren. Birgitta Roslin bat das Mädchen hinter der Theke, die Musik leiser zu stellen. Die Musik wurde leiser. Ho trank eine Flasche Mineralwasser, Birgitta Roslin Kaffee.
»Erzählen Sie«, sagte Birgitta Roslin. »Die Einzelheiten, soweit Sie sie kennen, langsam. In den wenigen Tagen, die ich Hong getroffen habe, wurde sie so etwas wie eine Freundin. Aber wer sind Sie? Wer hat Sie den langen Weg von Peking hierhergeschickt? Und vor allem: warum?«
Ho schüttelte den Kopf. »Ich komme aus London. Hong hatte viele Freunde, die jetzt um sie trauern. Ma Li, die mit Hong zusammen in Afrika war, hat mir die Trauerbotschaft übermittelt. Sie hat mich auch gebeten, Kontakt zu Ihnen aufzunehmen.«
»Ma Li?«
»Eine andere Freundin von Hong.«
»Fangen Sie ganz vorne an«, sagte Birgitta Roslin. »Ich kann immer noch nicht glauben, dass es wahr ist, was Sie sagen.« »Das kann keiner von uns. Trotzdem ist es geschehen. Ma Li schrieb mir und berichtete, was geschehen war.« Birgitta Roslin wartete auf die Fortsetzung. Sie hatte plötzlich die Empfindung, dass das Schweigen auch eine Mitteilung enthielt.
Ho schuf einen Raum um sie beide, schloss ihn. »Die Auskünfte gehen auseinander. Ma Li beschrieb es in ihrem Brief so, dass das, was sie über Hongs Tod gehört hatte, wie eine zurechtgelegte Wahrheit wirkte.«
»Von wem hat sie es gehört?«
»Von Ya Ru, Hongs Bruder. Ihm zufolge hatte Hong weit in den Busch hinausfahren wollen, um wilde Tiere zu sehen. Wahrscheinlich fuhr der Fahrer zu schnell. Der Wagen überschlug sich, und Hong wurde auf der Stelle getötet. Der Wagen begann zu brennen, weil Benzin herausleckte.« Birgitta Roslin schüttelte den Kopf. Sie konnte sich Hong ganz einfach nicht tot vorstellen, als Opfer eines banalen Autounfalls.
»Einige Tage vor ihrem Tod hatte Hong mit Ma Li ein langes Gespräch geführt«, fuhr Ho fort. »Worüber, weiß ich nicht, Ma Li gibt Vertraulichkeiten ihrer Freunde nicht preis. Aber Hong hatte ihr eine klare Anweisung gegeben. Wenn ihr etwas zustieße, sollten Sie davon erfahren.«
»Warum ich? Ich kannte sie kaum.«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen.«
»Ma Li muss es erklärt haben.« »Hong wollte, dass Sie wissen, wo ich in London bin, für den Fall, dass Sie einmal Hilfe brauchten.«
Birgitta Roslin spürte, wie ihre Angst wuchs. Es ist wie ein Spiegeleffekt, dachte sie. Ich werde auf einer Straße in Peking überfallen, Hong wird in Afrika Opfer eines Unfalls. Irgendwie hängen die beiden Vorfälle zusammen.
Die Botschaft machte ihr Angst. Wenn du jemals Hilfe brauchst, sollst du wissen, dass es in London eine Frau namens Ho gibt.
»Aber ich verstehe nicht, was Sie sagen. Sind Sie hergekommen, um mich zu warnen? Was sollte denn passieren?« »Ma Li hat keine Details genannt.«
»Aber was in dem Brief stand, hat ausgereicht, um Sie hierherkommen zu lassen? Sie wussten, wo ich war. Sie wussten, wie Sie mich erreichen konnten. Was hat Ma Li geschrieben?«
»Hong hatte ihr von der schwedischen Richterin erzählt, Frau Roslin, die seit vielen
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