Der Chinese
Küche arbeitete, hatte inzwischen eine CD mit chinesischer Musik aufgelegt.
»Schöne Musik«, sagte die Bedienung und lächelte. »Chinesische Musik. Mögen Sie?«
»Schön«, sagte Birgitta Roslin. »Sehr schön.«
Die Kellnerin zögerte. Schließlich nickte sie, erst zurückhaltend, dann immer bestimmter. »Chinesischer Mann«, sagte sie.
»Der hier gesessen hat?«
»Auf demselben Stuhl wie Sie. Er aß zu Abend.«
»Wann war das?«
Sie dachte nach. »Im Januar. Aber nicht Neujahr. Später.«
»Wie viel später?«
»Vielleicht neun, zehn Tage?«
Birgitta Roslin biss sich auf die Lippen. Es kann stimmen, dachte sie. Die blutige Nacht in Hesjövallen war die vom 12. auf den 13. Januar. »Kann es auch einige Tage später gewesen sein?« Die Kellnerin ging zur Theke und kam mit einem Journal zurück, in dem die Tischreservierungen aufgeschrieben waren.
»12. Januar«, sagte sie. »Da hat er hier gesessen. Er hatte keinen Tisch bestellt. Aber ich weiß noch, welche anderen Gäste hier waren.«
»Wie sah er aus?«
»Chinese. Klein.«
»Was hat er gesagt?«
Die Antwort der Kellnerin kam so schnell, dass es Birgitta Roslin erstaunte. »Nichts. Er zeigte nur auf das, was er haben wollte.«
»Aber er war Chinese?«
»Ich versuchte, mit ihm Chinesisch zu reden. Aber er sagte nur ›still‹. Und zeigte. Ich dachte, er wollte seine Ruhe haben. Er aß. Suppe, Frühlingsrollen, Nasigoreng und Nachtisch. Er war sehr hungrig.«
»Hat er etwas getrunken?«
»Wasser und Tee.«
»Und er hat die ganze Zeit nichts gesagt?«
»Er wollte seine Ruhe.«
»Und was geschah dann?«
»Er bezahlte. Mit schwedischem Geld. Dann ging er.«
»Und er ist nicht zurückgekommen?«
»Nein.«
»Hat er das rote Band genommen?«
Die Bedienung lachte. »Warum sollte er es genommen haben?«
»Hat das rote Band eine besondere Bedeutung?«
»Es ist ein rotes Band. Was sollte es bedeuten?«
»Ist sonst noch etwas geschehen? Nachdem er gegangen ist?«
»Sie stellen viele komische Fragen. Sind Sie vom Finanzamt? Er arbeitet nicht hier. Wir bezahlen unsere Steuern. Alle, die hier arbeiten, haben Papiere.« .
»Es interessiert mich nur. Und Sie haben ihn nicht wieder gesehen?«
Die Kellnerin zeigte auf das Fenster. »Er ging nach rechts. Es schneite. Dann war er weg. Er ist nicht zurückgekommen. Warum interessiert es Sie?«
»Vielleicht kenne ich ihn«, antwortete Birgitta Roslin. Sie bezahlte und verließ das Restaurant. Der Mann, der am Ecktisch gesessen hatte, war nach rechts gegangen. Sie tat das Gleiche. An der Straßenkreuzung sah sie sich um. Auf der einen Seite lagen mehrere Läden und ein Parkplatz. Die Querstraße, die zur anderen Seite führte, mündete in eine Sackgasse. Dort lag ein kleines Hotel mit einem gesprungenen Glasschild. Sie sah sich noch einmal an der Kreuzung um. Dann machte sie kehrt. Ein Gedanke durchzuckte sie. Sie ging noch einmal in das Chinarestaurant. Die Bedienung saß an der Theke und rauchte. Sie fuhr zusammen, als die Tür aufging. Sie drückte sofort die Zigarette aus.
»Ich habe noch eine Frage«, sagte Birgitta Roslin. »Hatte der Mann, der an dem Tisch dort saß, einen Mantel an?«
Die Kellnerin überlegte. »Nein, tatsächlich nicht«, sagte sie. »Woher wissen Sie das?«
»Ich wusste es nicht. Rauchen Sie weiter. Danke für Ihre Hilfe.«
Die Tür des Hotels war beschädigt. Jemand hatte versucht, sie aufzubrechen. Das Schloss war anschließend nur provisorisch repariert worden. Sie stieg eine halbe Treppe hinauf bis zur Rezeption, die nur aus einem Tresen in einer Türöffnung bestand. Es war niemand da. Sie rief. Niemand kam. Sie entdeckte eine kleine Glocke und klingelte. Sie zuckte zusammen, als plötzlich jemand hinter ihr stand. Ein Mann, fast bis auf die Knochen abgemagert, als wäre er schwer krank. Er trug eine starke Brille und roch nach Alkohol. »Suchen Sie ein Zimmer?«
Birgitta Roslin konnte einen schwachen Rest von Dialekt in seiner Stimme hören. Er schien aus Göteborg zu stammen. »Ich möchte Ihnen nur gern ein paar Fragen stellen. Nach einem Freund, der, wie ich glaube, bei Ihnen gewohnt hat.« Der Mann schlurfte davon und tauchte kurz darauf hinter dem Tresen auf. Mit zitternden Fingern holte er ein Gästebuch heraus. Sie hätte sich nie vorgestellt, dass es immer noch Hotels gab wie das, in dem sie sich gerade befand. Sie
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