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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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und ließ es über die Ebene galoppieren. Tenba war nervöser als Shun, möglicherweise nicht ganz so klug, wollte aber unbedingt gefallen, war genauso gehorsam und im Übrigen viel schneller. Er scheute einmal, als ein Rebhuhn mit schwirrendem Flügelschlag vor seinen Hufen aufflatterte, und Takeo musste einige Kraft aufwenden, um ihn daran zu erinnern, wer der Herr war. Aber in der Schlacht werde ich mich nicht auf ihn verlassen müssen , dachte er. Die Zeiten sind vorbei.
    Â»Du hast ihn gut erzogen«, sagte er zu Shigeko. »Er scheint keine Fehler zu haben.«
    Â»Welche Behinderungen Lord Otori auch immer haben mag, Ihre Reitkünste sind dadurch nicht beeinträchtigt«, bemerkte Kono.
    Â»Ja, beim Reiten vergesse ich sie«, sagte Takeo lächelnd. Beim Reiten fühlte er sich wieder wie ein junger Mann. Fast meinte er, Kono sympathisch zu finden undihn falsch eingeschätzt zu haben, schalt sich dann aber dafür, auf Schmeicheleien hereinzufallen.
    Ãœber seinem Kopf kreisten die vier Falken, und zwei hielten im gleichen Moment inne und sausten zur Erde. Einer erhob sich wieder, in den Fängen ein Rebhuhn, dessen Federn stoben. Der andere Falke kreischte zornig auf. Dies erinnerte Takeo daran, dass seine Feinde genauso über ihn herfallen konnten wie der Falke über das Rebhuhn – kreisend, wartend – und dass sich die Starken von den Schwachen ernährten.
    In der Dämmerung ritten sie zurück. Hinter den gefiederten Gräsern ging der Mond auf, die Gestalt des Kaninchens war deutlich auf der Scheibe zu erkennen. Die Straßen waren voller Menschen, die Schreine und Läden quollen über, die Luft war erfüllt vom Geruch nach gerösteten Reiskuchen, gegrillten Fischen und Aalen, nach Sesamöl und Soja. Takeo gefiel die Reaktion der Menge. Die Bürger der Stadt gaben voller Achtung den Weg frei, viele fielen spontan auf die Knie, riefen seinen Namen oder den Shigekos, doch sie waren weder eingeschüchtert, noch verfolgten sie ihn mit dem verzweifelten, hungrigen Blick, der vor all den Jahren Lord Shigeru überall begegnet war, ein Blick, der auch ihm einmal gegolten hatte. Sie brauchten keinen heldenhaften Retter mehr. Sie betrachteten Wohlstand und Frieden als selbstverständlich und als etwas, das sie sich durch harte Arbeit und Klugheit verdient hatten.

KAPITEL 27

    In Schloss und Stadt herrschte Stille. Der Mond war untergegangen. Der Nachthimmel war von leuchtenden Sternen übersät. Takeo saß beim Licht zweier Lampen mit Minoru zusammen, sie gingen die Gespräche des Abends durch und der junge Mann berichtete von seinen Eindrücken.
    Â»Ich werde das Schloss für kurze Zeit verlassen«, sagte Takeo, als sie fertig waren. »Ich will mit Taku reden, bevor ich aufbreche, und das wird innerhalb der nächsten zwei Tage passieren, wenn Kono noch vor dem Winter Hofu erreichen soll. Bleib hier. Sollte jemand nach mir fragen, dann tu so, als widmeten wir uns gerade dringenden und vertraulichen Geschäften und dürften nicht gestört werden. Vor der Morgendämmerung bin ich wieder zurück.«
    Minoru, vertraut mit Schlichen dieser Art, verneigte sich nur. Er half Takeo in die dunklen Kleider, die dieser nachts oft trug. Takeo wand sich einen Schal um den Kopf, um sein Gesicht zu verbergen, nahm zwei Krüge mit Wein, ein kurzes Schwert und das Futteral mit den Wurfmessern, die er unter seinen Kleidern versteckte. Er trat auf die Veranda und verschwand in die Nacht.
    Wenn Kono mich jetzt sehen könnte , dachte er, als er anden Gemächern des schlafenden Edelmannes vorbeikam und ihn tief atmen hörte. Doch er wusste, dass niemand ihn sehen konnte, da er die Unsichtbarkeit des Stammes angenommen hatte.
    Wie das Reiten gab ihm auch dies das Gefühl, wieder jung zu sein. Er hatte sich vom Stamm abgewandt. Seine Familie, die Kikuta, hatte ihn sein halbes Leben verfolgt. Doch die tiefe Freude, die die uralten Stammesfähigkeiten auslösten, hatte ihn nie verlassen. Hinten im Garten lauschte er einen Moment lang, und da er kein Geräusch hörte, sprang er auf die Mauer, die den Garten vom ersten Schlosshof trennte. Er lief oben auf der Mauer bis zum anderen Ende und ließ sich dann auf den Reitplatz im zweiten Schlosshof herab. Dort hingen immer noch die Banner, schlaff im Licht der Sterne. Da es zu kalt zum Schwimmen war, eilte er zur anderen Seite des Hofes, schwang sich dort auf die Mauer und

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