Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers
worden war, schickte Hana die Dienerinnen weg und bediente die Gäste selbst. Sie kannte Kuroda Yasu vom Sehen und hatte von den Luxusgütern profitiert, die er von den Inseln des Südens einführte: Dufthölzer, Stoffe aus Tenjiku, Elfenbein und Gold. Sie besaà mehrere Spiegel aus dem harten, glänzenden Glas, das dem Betrachter das wahre Spiegelbild zeigte. Es gefiel ihr, dass diese Schätze in Kumamoto verborgen wurden. Sie zeigte sie niemals in Hofu. Und nun wusste auch sie von diesem harten, glänzenden Geheimnis, das das wahre Wesen Takeos enthüllte.
Sie musterte den anderen Mann, Akio. Er warf einen Blick auf sie, dann senkte er den Blick und setzte sich. Er wirkte demütig, doch sie merkte sofort, dass er kein demütiger Mensch war. Akio war groà und hager. Trotz seines Alters wirkte er sehr kräftig und strahlte eine Macht aus, die ein gewisses Interesse in ihr weckte. Sie hätte ihn nicht gern als Feind, doch er würde ein zäher und skrupelloser Verbündeter sein.
Zenko begrüÃte die Männer höflich und schaffte es, Akio als Oberhaupt der Kikuta anzuerkennen, ohne seinen eigenen Rang als Herrscher der Arai zu schmälern.
»Der Stamm ist zu lange gespalten gewesen«, sagte er. »Diese Spaltung bedauere ich tief und ebenso Kotaros Tod. Nun, da Muto Kenji tot ist, ist es an der Zeit, diese Wunden zu heilen.«
»Ich denke, wir haben ein gemeinsames Anliegen«, antwortete Akio. Er sprach abgehackt und mit dem Akzent des Ostens. Hana hatte das Gefühl, dass er lieber schwieg, als zu schmeicheln, und auch nicht für Schmeicheleien oder die üblichen Bestechungen und Ãberredungskünste empfänglich war.
»Hier können wir offen sprechen«, sagte Zenko.
»Ich habe nie verschwiegen, was ich am meisten ersehne«, sagte Akio. »Otoris Tod. Er ist von den Kikuta verurteilt worden, weil er den Stamm verlassen und den Tod Kotaros verschuldet hat. Dass er noch lebt, ist eine Beleidigung für unsere Familie, unsere Vorfahren und Traditionen und für die Götter.«
»Die Leute behaupten, er könne nicht getötet werden«, bemerkte Yasu. »Obwohl er mit Sicherheit auch nur ein Mensch ist.«
»Einmal hatte ich mein Messer an seiner Kehle.« Akio beugte sich vor, seine Augen leuchteten. »Ich weià bis heute nicht, wie er mir entkommen ist. Er hat viele Fähigkeiten â ich hätte es wissen müssen, denn ich habe ihn in Matsue trainiert. Er ist all unseren Attentaten entgangen.«
»Nun«, sagte Zenko langsam und tauschte einen Blick mit Hana. »Vor einigen Monaten habe ich etwas erfahren, von dem Sie vielleicht nichts wissen. Nur wenige Menschen wissen davon.«
»Dr. Ishida hat es uns erzählt«, sagte Hana. »Er ist Takeos Arzt und hat viele seiner Wunden behandelt. Er hat es von Muto Kenji erfahren.«
Akio hob den Kopf und sah sie an.
»Allem Anschein nach glaubt Takeo, nur von seinem Sohn getötet werden zu können«, fuhr Zenko fort. »Es gab eine dahingehende Prophezeiung.«
»Wie die fünf Schlachten?«, fragte Yasu.
»Ja, das wurde benutzt, um den Mord an meinem Vater und die Machtübernahme zu rechtfertigen«, sagte Zenko. »Der Rest wurde verheimlicht.«
»Aber Lord Otori hat keine Söhne«, sagte Yasu in die Stille hinein und sah einen nach dem anderen an. »Obwohl es natürlich gewisse Gerüchte gibt â¦Â« Akio saà reglos und mit ausdrucksloser Miene da. Hana spürte wieder, wie ihr Bauch vor Aufregung kribbelte.
Akio sprach Zenko an, seine Stimme war leiser und rauer denn je. »Sie wissen über meinen Sohn Bescheid?«
Zenko bewegte zur Bejahung unmerklich den Kopf.
»Wer weià sonst noch von dieser Prophezeiung?«
»Abgesehen von den hier im Raum Versammelten und Ishida dürften noch mein Bruder und vermutlich auch meine Mutter davon wissen, obwohl sie es mir gegenüber nie erwähnt hat.«
»Und was ist mit Takeos Vertrauten in Terayama? Kubo Makoto könnte es wissen. Takeo erzählt ihm alles«, murmelte Hana.
»Gut möglich. Auf jeden Fall sind es nur wenige. Und was vor allem zählt: Takeo selbst glaubt daran«, sagte Zenko.
Yasu trank hastig einen Schluck Wein und sagte zu Akio: »Dann treffen all die Gerüchte wirklich zu?«
»Ja. Hisao ist Takeos Sohn.« Auch Akio trank und zum ersten Mal schien er fast zu lächeln. Das war schmerzhafter
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