Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers
er sie.
»Dann sollte seine Treue an erster Stelle dir gehören, nicht Takeo«, erwiderte sie. »Er hintergeht dich an jedem einzelnen Tag und du siehst darüber hinweg. Er hat dich den gröÃten Teil dieses Jahres ausspioniert, und du kannst sicher sein, dass er auch deine Briefe abfängt.«
»Das wird sich bald alles ändern«, sagte Zenko gefasst. »Wir werden die Nachfolge der Muto regeln. Taku wird mir dann gehorchen müssen, oder â¦Â«
»Oder was?«
»Ungehorsam ist im Stamm immer mit dem Tod bestraft worden. Dieses Gesetz könnte ich auch für meine Familie nicht ändern.«
»Aber Taku ist beliebt. Das sagst du selbst oft. Und deine Mutter auch. Es gibt doch bestimmt nicht viele, die sich gegen sie wenden werden?«
»Ich denke schon, dass wir einige Unterstützung bekommen werden. Und wenn es sich bei Kurodas Begleiter um den Mann handelt, an den ich denke, wird ein groÃer Teil davon recht mächtig sein.«
»Ich kann es kaum erwarten, ihm zu begegnen.« Hana zog die Augenbrauen hoch.
»Ich sollte dir wohl ein bisschen über ihn erzählen. Es ist Kikuta Akio. Seit Kotaros Tod führt er die Kikutafamilie. Er hat Muto Kenjis Tochter geheiratet, Yuki. Seit ihrem Tod hat er mit ihrem Sohn mehr oder weniger versteckt gelebt.« Er verstummte und sah Hana an. Seine Augen mit den schweren Lidern leuchteten.
»Nicht sein Sohn?«, fragte sie. Und dann: »Doch nicht etwa Takeos?«
Er nickte und lachte wie zuvor.
»Wie lange weiÃt du das schon?«, fragte Hana. Diese Enthüllung erstaunte und erregte sie zugleich, und sie begann sofort zu überlegen, wie man sie nutzen konnte.
»Ich habe die Gerüchte, die in der Mutofamilie darüber umgingen, schon als Junge gehört. Warum sonst hätte man Yuki zwingen sollen, Gift zu schlucken? Die Kikuta können sie nur getötet haben, weil sie ihr nicht vertrauten. Und warum sonst sollte Kenji mit vier der fünf Familien zu den Otori übergelaufen sein? Kenji glaubte, Takeo würde seinen Sohn eines Tages für sich beanspruchen oder ihn wenigstens beschützen. Der Junge â offenbar nennen sie ihn Hisao â ist Takeos Sohn.«
»Ich bin mir sicher, dass meine Schwester nichts davon weiÃ.« Hana verspürte einen leisen Funken des Vergnügens bei diesem Gedanken.
»Vielleicht kannst du es ihr zum passenden Zeitpunkt erzählen«, schlug ihr Mann vor.
»Oh, bestimmt«, sagte Hana. »Aber warum hat Takeo den Jungen nie zu sich geholt?«
»Meiner Meinung nach aus zwei Gründen: Erstens will er nicht, dass seine Frau davon erfährt, und zweitens befürchtet er, sein Sohn könnte derjenige sein, der ihn tötet. Wie Ishida uns netterweise verraten hat, gab es doch eine dahingehende Prophezeiung und Takeo glaubt daran.«
Hana spürte, wie sich ihr Pulsschlag beschleunigte.»Wenn meine Schwester davon erfährt, wird die Ehe der beiden zerbrechen. Sie sehnt sich seit Jahren nach einem Sohn. Sie wird es Takeo nie vergeben, dass er ihr diesen Jungen verheimlicht hat.«
»Viele Männer haben Mätressen und uneheliche Kinder und ihre Frauen vergeben ihnen.«
»Die meisten Frauen sind wie ich«, erwiderte Hana. »Realistisch und pragmatisch. Wenn du andere Frauen hast, macht mir das nichts aus. Ich verstehe die Bedürfnisse und das Verlangen der Männer, und ich weiÃ, ich werde für dich immer an erster Stelle stehen. Aber meine Schwester ist eine Idealistin: Sie glaubt an die Liebe. Takeo offenbar auch, denn er hat sich nie eine andere Frau genommen â darum hat er ja keine Söhne. Und vor allem stehen beide unter dem Einfluss Terayamas und dem, was sie als Weg des Houou bezeichnen. Ihr Reich wird durch ihre Verbindung im Gleichgewicht gehalten â durch die Verschmelzung des Männlichen und des Weiblichen. Wenn man diese Verbindung zerbricht, werden auch die Drei Länder zerfallen.«
Sie fügte hinzu: »Und dann wirst du all das erben, worum dein Vater gekämpft hat, mit dem Segen des Kaisers und der Unterstützung seines Generals.«
»Und der Stamm wird nicht mehr entzweit sein«, sagte Zenko. »Wir werden diesen Jungen als Erben sowohl der Kikuta als auch der Muto anerkennen und den Stamm durch ihn beherrschen.«
Hana hörte Schritte vor der Tür. »Sie kommen«, sagte sie.
Ihr Mann schickte nach mehr Wein, und als diesergebracht
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