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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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mitanzusehen und erschreckender, als wenn er geweint und geflucht hätte. »Er weiß nichts davon. Und er besitzt keine Stammesfähigkeiten. Aber nun begreife ich, dass es ihm ein Leichtes sein wird, seinen Vater zu töten.«
    Yasu ließ eine Hand auf die Matte klatschen. »Habe ich Ihnen nicht gesagt, dass der Junge noch für eine Überraschung gut ist? Das ist der beste Witz, den ich seit Jahren gehört habe.«
    Plötzlich brachen alle vier in dröhnendes Gelächter aus.

KAPITEL 30

    Kaede hatte beschlossen, den Winter bis zur Geburt ihres Kindes in Hagi zu verbringen, und Shizuka und Dr. Ishida blieben bei ihr. Sie waren vom Schloss in Shigerus altes Haus am Fluss gezogen. Es zeigte nach Süden und fing daher die ganze Wintersonne auf, und im Übrigen war es während der langen, kalten Tage besser zu heizen. Chiyo lebte nach wie vor dort, sie ging ganz krumm und war inzwischen uralt, konnte aber immer noch ihre heilenden Tees zubereiten und Geschichten aus den alten Zeiten erzählen. Was sie vergessen hatte, ergänzte Haruka, die so fröhlich und tapfer war wie immer. Kaede zog sich bis zu einem gewissen Grad aus dem öffentlichen Leben zurück. Takeo und Shigeko waren nach Yamagata aufgebrochen, Maya war mit dem Mutomädchen Sada nach Maruyama geschickt worden, Miki nach Kagemura, dem Dorf des Stammes. Alle drei Mädchen waren mit ernsthaftem Training beschäftigt und dieser Gedanke freute Kaede, und sie betete oft dafür, dass sie lernten, ihre unterschiedlichen Fähigkeiten weiterzuentwickeln und zu meistern, und dass die Götter sie vor Unfällen, Krankheit oder Attentaten behüteten. Wie sie betrübt feststellte, fiel es ihr leichter, ihre Zwillingstöchter zu lieben, wenn diese weit fort und ihrewidernatürliche Geburt und ihre seltsamen Fähigkeiten nicht mehr präsent waren.
    Sie war nicht einsam, denn Shizuka und die beiden kleinen Jungen leisteten ihr Gesellschaft, außerdem die Haustiere der Mädchen, der Affe und die Löwenhunde. In Abwesenheit ihrer Töchter schenkte sie ihren Neffen all ihre Fürsorge und Zuneigung. Auch Sunaomi und Chikara gefiel der Umzug, weil das Leben hier zwangloser als im Schloss war. Sie spielten am Flussufer und auf dem Fischwehr. »Es ist, als lebten Shigeru und Takeshi wieder«, sagte Chiyo mit Tränen in den Augen, wenn sie die Kinder im Garten rufen hörte oder ihre Schritte auf dem Nachtigallenboden vernahm, und Kaede faltete ihre Arme um ihren immer größer werdenden Bauch und dachte an das Kind, das darin wuchs und in dessen Adern, anders als bei Sunaomi und Chikara, Otoriblut floss. Ihr Sohn würde der Erbe Shigerus sein.
    Kaede nahm die Jungen mehrmals in der Woche mit zum Schrein, denn sie hatte Shigeko versprochen, ein Auge auf Tenba und das Kirin zu haben und dafür zu sorgen, dass das Pferd nichts von dem verlernte, was ihm beigebracht worden war. Meist wurde sie von Ishida begleitet, denn seine Zuneigung zum Kirin war so groß wie eh und je, und er ließ kaum einen Tag verstreichen, ohne nach ihm zu schauen. Mori Hiroki legte Tenba das Zaumzeug an und hob Sunaomi auf den Sattel, und Kaede führte ihn auf der Weide im Kreis. Offenbar witterte das Pferd ihre Schwangerschaft, denn es trabte gern neben ihr her, die Nüstern gebläht, und beschnupperte sie hin und wieder.
    Â»Bin ich etwa deine Mutter?«, schalt sie Tenba, doch sein Vertrauen freute sie, und sie betete darum, dass ihr Sohn ebenso schön und mutig wäre. Sie dachte an ihr Pferd Raku und an Amano Tenzo. Beide waren seit langem tot, doch ihre Geister blieben lebendig, solange es Otoripferde gab.
    Dann schrieb Shigeko, man solle ihr das Pferd schicken, weil sie es ihrem Vater schenken wolle, und sie bat ihre Mutter um Stillschweigen. Tenba wurde auf die Reise vorbereitet und mit einem jungen Pferdeknecht per Schiff nach Maruyama gebracht. Kaede befürchtete, das Kirin könnte leiden, und Ishida teilte ihre Besorgnis. Tatsächlich wirkte es zunächst recht verloren, doch dann schien die Abwesenheit seines Gefährten seine Zuneigung zu den Menschen noch zu erhöhen.
    Kaede, immer noch eine Liebhaberin der Schreibkunst, erledigte alle Korrespondenz persönlich. Sie verfasste Briefe an ihren Mann, schrieb Shigeko und Miki, die sie ermahnte, fleißig zu sein und den Lehrern zu gehorchen, und sie schrieb auch ihren Schwestern. Sie berichtete Hana vom Wohlergehen und von den

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