Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers
Fortschritten ihrer Söhne und von ihrer Zuneigung für die beiden.
Maya schrieb sie nicht, weil sie sich einredete, dies sei zwecklos, da Maya irgendwo in Maruyama versteckt lebte und durch Briefe ihrer Mutter in Gefahr geraten könnte.
Sie besuchte den anderen Schrein, der nun an Stelle von Akanes Haus stand, und bewunderte die schlanke, anmutige Gestalt, die sich langsam aus dem Holzherausschälte, während man rundherum das neue Haus erbaute.
»Sie sieht aus wie Lady Kaede«, sagte Sunaomi, denn Kaede bestand darauf, dass er sie stets zum Ort seiner Angst und Schande begleitete. Im GroÃen und Ganzen hatte er Selbstvertrauen und gute Laune zurückgewonnen, doch beim Schrein spürte Kaede die Spuren der Demütigung und die Narben, die diese zurückgelassen hatte, und sie betete, der Geist der Göttin möge dem Jungen Heilung bringen.
Kurz nachdem Takeo nach Yamagata aufgebrochen war, kehrte Fumio zurück. Während Takeos Abwesenheit und Kaedes teilweisem Rückzug aus der Ãffentlichkeit fungierten er und sein Vater als Stellvertreter. Eines ihrer ärgerlichsten und hartnäckigsten Probleme bestand in den unwillkommenen Fremden, die aus Hofu gekommen waren.
»Nicht, dass ich sie nicht leiden könnte«, sagte Fumio eines Nachmittags in der Mitte des zehnten Monats zu Kaede. »Wie Sie wissen, bin ich den Umgang mit Fremden gewohnt. Ich genieÃe ihre Gesellschaft und finde sie interessant. Aber langsam weià ich nicht mehr, was ich Tag für Tag mit ihnen anfangen soll. Sie sind sehr rastlos. Und die Nachricht, dass Lord Otori nicht mehr in Hagi ist, hat sie nicht gerade erfreut. Sie möchten ihn aufsuchen und mit ihm verhandeln. Sie verlieren langsam die Geduld. Ich habe ihnen gesagt, es sei nichts zu machen, bis Lord Otori nach Hagi zurückkehrt. Sie wollen wissen, warum sie nicht selbst nach Yamagata reisen dürfen.«
»Takeo möchte nicht, dass sie im Land herumreisen«, erwiderte Kaede. »Je weniger sie über uns wissen, desto besser.«
»Ganz meine Meinung â und ich habe keine Ahnung, welche Ãbereinkünfte sie mit Zenko getroffen haben. Er hat ihnen erlaubt, Hofu zu verlassen, doch ich weià nicht, warum. Ich hatte gehofft, sie würden Briefe schreiben, die uns etwas enthüllen, aber ihre Dolmetscherin kann kaum schreiben â auf jeden Fall nichts, das Zenko lesen könnte.«
»Dr. Ishida könnte sich als Schreiber anbieten«, schlug Kaede vor. »Das würde Ihnen die Mühe ersparen, ihre Briefe abzufangen.«
Sie lächelten einander an.
»Vielleicht wollte Zenko sie einfach loswerden«, fuhr Kaede fort. »Jeder scheint sie als Last zu empfinden.«
»Trotzdem können wir sehr von ihnen profitieren, solange wir sie kontrollieren und nicht umgekehrt. Sie haben ein groÃes Wissen und viel Geld.«
»Aus diesem Grund muss ich mit meinem Sprachunterricht beginnen«, sagte Kaede. »Sie müssen die Fremden und ihre Dolmetscherin herbringen, damit ich die Sache besprechen kann.«
»Dann werden sie im Winter gut beschäftigt sein«, stimmte Fumio zu. »Ich werde ihnen klarmachen, welch eine hohe Ehre es ist, von Lady Otori empfangen zu werden.«
Die Begegnung wurde organisiert und Kaede merkte, dass sie ihr mit einiger Beklemmung entgegensah. Nichtwegen der Fremden, sondern weil sie nicht wusste, wie sie sich gegenüber ihrer Dolmetscherin verhalten sollte: Kind einer Bauernfamilie, Frau aus einem Freudenhaus, Anhängerin des seltsamen Glaubens der Verborgenen, Schwester ihres Mannes. Sie wollte mit diesem Teil von Takeos Leben nichts zu tun haben. Sie wusste nicht, was sie einer solchen Person sagen, ja nicht einmal, wie sie sie anreden sollte. All ihre Instinkte, durch die Schwangerschaft geschärft, warnten sie davor, doch sie hatte Takeo versprochen, die Sprache der Fremden zu lernen, und eine andere Möglichkeit fiel ihr nicht ein.
Natürlich war sie auch neugierig, das musste sie zugeben. Vor allem, wie sie sich einredete, auf die Fremden und deren Sitten, doch in Wahrheit wollte sie wissen, wie Takeos Schwester aussah.
Als Fumio die zwei groÃen Männer hereinführte, gefolgt von der kleinen Frau, dachte Kaede als Erstes: Sie ähnelt ihm in keiner Weise , und sie war tief erleichtert, weil niemand die beiden miteinander in Verbindung bringen konnte. Sie sprach die Männer formell an und begrüÃte sie, und sie verneigten sich
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