Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers
üblichen Höflichkeitsfloskeln an und lud ihn zum Abendessen mit Zenko und Hana in Hofus Residenz ein. Die folgenden Stunden verbrachte er mit Reisevorbereitungen, wenn auch nicht offen, da er keine Aufmerksamkeit auf ihre Abreise lenken wollte. Da er den Leuten, die ihm hier in Hofu von den Muto gestellt wurden, nicht vertraute, ritt er mit vieren jener Männer zur Residenz, die ihn von Inuyama aus begleitet hatten.
Schon im ersten Moment ihrer Begegnung fiel Taku auf, dass mit seinem Bruder eine Veränderung vor sich gegangen war. Zenko hatte sich Schnurrbart und Bart wachsen lassen, doch vor allem trug er ein gewachsenes Selbstvertrauen und eine ausgeprägtere GroÃspurigkeit zur Schau. AuÃerdem bemerkte Taku nach einer Weile, dass Zenko prächtige, aus Elfenbein geschnitzte Gebetsketten um den Hals trug, ähnlich wie jene von Don João und Don Carlo, die ebenfalls beim Essen zugegen waren. Vorher bat man Don Carlo, einen Segen zu sprechen, bei dem Zenko und Hana mit gefalteten Händen,gesenkten Köpfen und mit einer Miene tiefster Frömmigkeit dasaÃen.
Taku registrierte die Herzlichkeit, die plötzlich zwischen Zenko und den Fremden herrschte, die Schmeicheleien und die Aufmerksamkeiten, hörte im Verlauf des Gespräches oft den Namen Deus und begriff mit einer Mischung aus Erstaunen und Ekel, dass sein Bruder zur Religion der Fremden bekehrt worden war.
Bekehrt worden war oder nur so tat? Taku konnte nicht glauben, dass es Zenko ernst war. Er kannte ihn als einen Mann ohne religiösen Glauben und spirituelle Interessen â ganz wie er selbst. Er meint, einen Vorteil für sich herausschlagen zu können â bestimmt einen militärischen , dachte er, und beim Gedanken an all das, was die Fremden an Feuerwaffen und Schiffen bereitstellen konnten, stieg Wut in ihm auf.
Zenko bemerkte sein wachsendes Unbehagen, und als das Essen zu Ende war, sagte er: »Ich habe etwas mit meinem Bruder zu besprechen. Bitte entschuldigen Sie uns für eine Weile. Taku, komm mit in den Garten. Die Nacht ist herrlich, denn der Mond ist fast voll.«
Taku folgte ihm. All seine Sinne waren geschärft und er horchte auf fremde Schritte, ein unerwartetes Atemgeräusch. Hatten sich die Mörder schon im Garten verborgen und führte sein Bruder ihn in die bequeme Reichweite ihrer Messer? Oder ihrer Gewehre? Und beim Gedanken an die Waffe, die aus der Ferne den Tod brachte und die er mit keiner seiner Stammesfähigkeiten entdecken konnte, erschauderte er angewidert.
Als hätte er seine Gedanken gelesen, sagte Zenko:»Es gibt keinen Grund für uns, Feinde zu sein. Lass uns versuchen, einander nicht zu töten.«
»Ich glaube, du spinnst irgendeine Intrige gegen Lord Otori«, erwiderte Taku und unterdrückte seine Wut. »Warum, weià ich beim besten Willen nicht, denn du hast ihm die Treue geschworen und schuldest ihm dein Leben, und auÃerdem gefährdet so ein Vorhaben deine eigene Familie â unsere Mutter, mich â und sogar deine Söhne. Warum hält sich Kikuta Akio unter deinem Schutz in Hofu auf und welchen bösen Pakt hast du mit diesen Leuten geschlossen?« Er zeigte zur Residenz, von der Gesprächsfetzen herüberdrangen â wie kreischende Raubwürger, dachte er missmutig.
»Darin liegt nichts Böses«, antwortete Zenko, der die Frage nach Akio überging. »Ich habe die Wahrheit ihres Glaubens erkannt und beschlossen, ihm zu folgen. Diese Freiheit hat man in den Drei Ländern, denke ich.«
Sein Bruder lächelte und Taku sah die weiÃen Zähne in seinem Bart. Am liebsten hätte er zugeschlagen, beherrschte sich aber.
»Und im Gegenzug?«
»Ich bin überrascht, dass du es noch nicht weiÃt, aber du wirst es bestimmt erraten können.« Zenko sah ihn an, trat dann näher an ihn heran und ergriff ihn beim Arm. »Taku, wir sind Brüder, und egal, was du glaubst, du bist mir wichtig. Lass uns ganz offen reden. Takeo hat keine Zukunft. Warum sollten wir mit ihm untergehen? Stell dich auf meine Seite, dann wird der Stamm wieder vereint sein. Ich habe dir erzählt, dass ich in Kontakt mit den Kikuta bin. Und ich will nicht damit hinter demBerg halten, dass ich Akio für sehr vernünftig halte und dass es ein Vergnügen ist, mit ihm zu tun zu haben. Er wird über die Rolle hinwegsehen, die du bei Kotaros Tod gespielt hast â alle wissen ja, dass du damals
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