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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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seiner Erfahrung und seiner Listigkeit zusammengehalten hatte, begannen auseinanderzubrechen und sich, da Kikuta Akio nach vielen Jahren der Isolation wiederaufgetaucht war, neu zu formieren.
    Maya hörte seinen Namen immer häufiger, und mit jedem Mal wuchsen ihr Interesse und ihre Neugier. Eines Abends, kurz vor dem Vollmond, schlich sie sich zur Schänke am Flussufer. In der Stadt herrschte noch mehr Leben als sonst, weil Zenko und Hana mit ihrem ganzen Gefolge zurückgekehrt waren. Die Schänke war überfüllt, die Stimmung rau.
    Maya verbarg sich am liebsten unter der Veranda und machte sich unsichtbar, um darunterzuschlüpfen. An diesem Abend war der Lärm sehr groß und selbst mit ihrem feinen Gehör konnte sie nur wenig verstehen. Aber sie schnappte das Wort »Kikutameister« auf und begriff, dass Akio persönlich anwesend war.
    Sie war erstaunt, dass er es wagte, offen in Hofu zu erscheinen, und sie war noch erstaunter, als sie merkte, wie viele Menschen, die ihres Wissens nach zum Stamm gehörten, seine Anwesenheit nicht nur duldeten, sondern sie suchten und sich ihm vorstellten. Offenbar stand er hier unter Zenkos Schutz und sie hörte sogar, wie man von Zenko als dem Mutomeister sprach. Das verstand sie als Verrat, ohne dessen ganzes Ausmaß zu kennen. Den ganzen Winter hatte sie unbemerkt die Stammesfähigkeiten benutzt und sie war ein wenig zu selbstsicher geworden. Sie tastete nach dem Messer, das sie im Obergewand verborgen hatte, machte sich wieder unsichtbar, ohne eine genaue Vorstellung davon zu haben, was sie tun wollte, und ging zum Eingang der Schänke.
    Alle Türen standen weit offen und der Südwestwind fuhr hinein. Die Lampen brannten qualmend und die Luft war schwer von Gerüchen – nach gegrilltem Fisch, Reiswein, Sesamöl und Ingwer.
    Maya ließ ihren Blick über die verschiedenen Gruppen gleiten. Sie wusste sofort, wer Akio war, denn er bemerkte sie trotz ihrer Unsichtbarkeit. In diesem Moment wurde ihr klar, wie unglaublich gefährlich er war und wie schwach sie im Vergleich zu ihm war, und dass ersie ohne Zögern töten würde. Er sprang vom Fußboden auf, schien auf sie zuzufliegen und holte dabei seine Waffen hervor. Sie sah das Glitzern von Messern, hörte sie durch die Luft pfeifen und ließ sich instinktiv zu Boden fallen. Die Welt ringsherum veränderte sich – sie sah sie durch die Augen der Katze. Sie spürte die Oberfläche des Fußbodens unter ihren Pfoten, und als sie zurück in die Nacht floh, schabten ihre Krallen auf den Dielen der Veranda.
    Sie war sich des Jungen bewusst, Hisao. Sie spürte, wie er sie mit seinem Blick suchte, und aus seinem Mund kamen Wortfetzen, die sich zu jenen Sätzen formten, die sie aus Angst bislang nicht hatte verstehen wollen. Komm zu mir. Ich habe auf dich gewartet.
    Und die Katze wollte nur eines: zu ihm zurückkehren.
    Maya floh zum einzigen Schutz, den sie hatte, dem von Sada und Taku, und riss die beiden aus tiefem Schlaf. Beide versuchten sie zu beruhigen, als sie darum kämpfte, ihre wahre Gestalt zurückzuerlangen. Sada rief sie beim Namen, während Taku ihr in die Augen starrte, sie zurückzuholen versuchte und gegen ihren mächtigen Blick ankämpfte. Schließlich erschlafften ihre Glieder. Sie schien für wenige Augenblicke zu schlafen. Als sie die Augen aufschlug, war sie wieder ganz bei sich und wollte Sada und Taku alles erzählen.
    Taku hörte schweigend zu, als sie berichtete, was sie gehört hatte, bemerkte, dass ihre Augen trotz ihrer Angst trocken blieben, und bewunderte ihre Selbstbeherrschung.
    Â»Dann sind Hisao und die Katze also irgendwie miteinander verbunden?«, fragte er schließlich.
    Â»Er ist derjenige, der die Katze ruft«, sagte Maya leise. »Er ist ihr Herr.«
    Â»Ihr Herr? Wo hast du das Wort aufgeschnappt?«
    Â»Die Geister sagen es, wenn ich sie lasse.«
    Taku schüttelte den Kopf, er wirkte erstaunt. »Weißt du, wer Hisao ist?«
    Â»Er ist Muto Kenjis Enkel.« Sie schwieg kurz und sagte dann gelassen: »Der Sohn meines Vaters.«
    Â»Wie lange weißt du das schon?«, fragte Taku.
    Â»Ich habe gehört, wie du es Sada im letzten Herbst in Maruyama erzählt hast«, antwortete Maya.
    Â»Als wir die Katze zum ersten Mal gesehen haben«, flüsterte Sada.
    Â»Hisao ist offenbar ein Herr der Geister«, sagte Taku. Er hörte Sada leise keuchen,

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