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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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spürte, wie sich das Haar auf seinem Nacken sträubte. »Ich dachte, so etwas gebe es nur in den Legenden.«
    Â»Was bedeutet das?«, fragte Maya.
    Â»Es bedeutet, dass er die Fähigkeit besitzt, zwischen den Welten zu wechseln und die Stimmen der Toten zu hören. Die Toten gehorchen ihm. Er besitzt die Macht, sie zu besänftigen oder aufzuwiegeln. Die Sache ist noch viel schlimmer, als wir geglaubt haben.«
    Tatsächlich hatte er zum ersten Mal echte Angst um Takeo, eine primitive Angst vor dem Übernatürlichen. Außerdem war er tief beunruhigt von dem Verrat, den Mayas Bericht enthüllt hatte, und ärgerte sich über seine Selbstzufriedenheit und mangelnde Wachsamkeit.
    Â»Was sollen wir tun?«, fragte Sada leise. Sie hatte die Arme um Maya gelegt und drückte sie an sich. Mayas leuchtende, tränenlose Augen waren auf Taku gerichtet.
    Â»Wir werden Maya fortbringen«, antwortete er. »Aber zuerst gehe ich zu meinem Bruder, stelle ihm eine letzte Forderung und versuche herauszufinden, wie eng er mit Akio verbunden ist und wie viel die beiden über Hisao wissen. Ich gehe davon aus, dass sie seine Fähigkeit noch nicht entdeckt haben. Über diese Sachen weiß im Stamm niemand mehr Bescheid: All unseren Berichten zufolge glaubt man, Hisao besäße keine der Fähigkeiten des Stammes.«
    Hatte Kenji davon gewusst? , dachte er plötzlich, merkte wieder, wie sehr er den alten Meister vermisste, und begriff in einem seltenen selbstkritischen Moment, wie sehr er dabei versagt hatte, ihn zu ersetzen.
    Â»Wir reisen nach Inuyama«, sagte er. »Ich werde versuchen, morgen Zenko zu treffen, aber wir müssen in jedem Fall aufbrechen. Wir müssen Maya fortschaffen.«
    Â»Seit Terada aus Hagi gekommen ist, haben wir nichts mehr von Takeo gehört«, sagte Sada beunruhigt.
    Â»Bisher habe ich mir darüber keine Sorgen gemacht, aber jetzt finde ich es bedenklich«, erwiderte Taku, überkommen von dem Gefühl, dass sich alles aufzulösen begann.
    Obwohl er nicht wagte, sich dies einzugestehen, geschweige denn Sada oder irgendjemand anderem davon zu erzählen, wuchs später in der Nacht seine Überzeugung, dass Takeo in der Falle saß, dass sich das Netz umihn zuzog und dass es kein Entkommen für ihn gab. Als er wach lag, war er sich Sadas großen Körpers bewusst, ihres regelmäßigen Atems, und er sah zu, wie die Nacht der Dämmerung wich, und fragte sich, was er tun sollte. Es wäre durchaus sinnvoll, seinem älteren Bruder zu gehorchen, der die Führung des Stammes übernehmen – oder diese sogar an ihn übergeben würde. Dann wären Muto und Kikuta versöhnt und er müsste weder Sada noch sein eigenes Leben aufgeben. Alle pragmatischen Mutoinstinkte drängten ihn, diesem Weg zu folgen. Er versuchte, in Gedanken die möglichen Folgen abzuwägen. Auf jeden Fall kostete es Takeo das Leben. Kaede und vermutlich auch die Kinder – vielleicht nicht Shigeko, außer, sie griffe zu den Waffen, aber die Zwillinge wären in Zenkos Augen auf jeden Fall eine zu große Gefahr. Und wenn Takeo die Sache ausfocht, würden ein paar tausend Otorikrieger sterben, was Taku nicht allzu sehr bekümmerte. Hiroshi …
    Der Gedanke an Hiroshi war es, der ihn zur Besinnung brachte. Als Junge hatte er Hiroshi immer heimlich um dessen unbekümmerte Kriegernatur, dessen körperlichen Mut und unerschütterliches Ehr- und Treuegefühl beneidet. Taku hatte ihn geneckt und mit ihm gewetteifert, hatte immer versucht, ihn zu beeindrucken, und ihn, bis er Sada begegnet war, mehr geliebt als jeden anderen Menschen. Er wusste, Hiroshi nähme sich eher selbst das Leben, als Takeo im Stich zu lassen und Zenko zu dienen, und als er sich Hiroshis Blick beim Erhalt der Nachricht vorstellte, dass er zu Zenko übergelaufen war, fand er dies unerträglich.
    Was ist mein Bruder doch für ein Narr , dachte er nicht zum ersten Mal und war noch zorniger auf Zenko, weil er von diesem in diese unmögliche Lage gebracht worden war. Er zog Sada dichter an sich heran. Ich hätte nie geglaubt, dass ich mich einmal verliebe , dachte er, als er sie sanft weckte, ohne zu wissen, dass er dies zum letzten Mal tat. Ich hätte nie geglaubt, einmal den edelmütigen Krieger zu spielen.
    Am nächsten Morgen schickte Taku eine Botschaft und erhielt noch vor dem Mittag eine Antwort. Man sprach ihn mit den

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