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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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waren bewaffnet, Akio mit Schwert und Messer, Hisao mit der Feuerwaffe. Beide waren vom Stamm – sie würden ihr Leben nicht verschonen, nur weil sie ein Kind war. Ichsollte wenigstens kämpfen , dachte sie, aber in ihrer Dumpfheit mochte sie die Stuten nicht loslassen.
    Der Junge starrte sie an, die Feuerwaffe auf sie gerichtet, während sein Gefährte die Leichen umdrehte. Sada stöhnte leise. Er kniete sich hin, nahm das Messer in die rechte Hand und schnitt ihr mit einer raschen Bewegung die Kehle durch. Er spuckte in Takus friedliches Gesicht.
    Â»Jetzt ist Kotaros Tod fast vollständig gerächt«, sagte er. »Die zwei Muto haben dafür gebüßt. Nur der Hund ist übrig.«
    Der Junge sagte: »Aber wer ist das hier, Vater?« Er klang verwirrt, als meinte er, Maya kennen zu müssen.  
    Â»Ein Pferdeknecht?«, sagte der Mann. »Pech für ihn!«
    Als er auf Maya zukam, versuchte sie, ihm in die Augen zu schauen, aber er sah sie nicht an. Eine schreckliche Angst überkam sie. Sie durfte nicht zulassen, dass er sie gefangen nahm. Sie wollte nur noch sterben. Sie ließ die Zügel der Stuten fallen und beide tänzelten erschrocken zurück. Maya zog ihr Messer aus dem Gürtel und hob die Hand, um es sich in die Kehle zu stoßen.
    Akio bewegte sich schneller, als sie es je bei einem Menschen erlebt hatte, sogar noch schneller als am vorletzten Abend, er flog auf sie zu und packte sie beim Handgelenk. Er bog es zurück und das Messer entglitt ihr.
    Â»Aber welcher Pferdeknecht versucht schon, sich selbst die Kehle durchzuschneiden?«, sagte er spöttisch. »Wie die Frau eines Kriegers?«
    Er hielt sie mit eisenhartem Griff, riss dabei an ihren Kleidern und stieß ihr die freie Hand zwischen die Beine. Sie schrie und wand sich, als er ihre Faust aufzwang. Beim Anblick der geraden, quer über die Handfläche verlaufenden Linie lächelte er.
    Â»Aha!«, rief er. »Nun wissen wir wenigstens, wer uns vorletzte Nacht nachspioniert hat.«
    Maya dachte, dass ihr Leben nun vorbei war. Doch er fuhr fort: »Das hier ist die Tochter Otoris, eine der Zwillinge. Sie hat das Zeichen der Kikuta. Sie kann uns noch viel nützen. Darum verschonen wir vorerst ihr Leben.« Er wandte sich an Maya. »Weißt du, wer ich bin?«
    Sie wusste es, brachte aber keine Antwort heraus.
    Â»Ich bin Kikuta Akio, der Meister deiner Familie. Das hier ist mein Sohn, Hisao.«
    Sie kannte ihn schon, denn er sah genauso aus wie in ihren Träumen.
    Â»Es stimmt: Ich bin Otori Maya«, sagte sie. »Und außerdem bin ich deine Schwester …«
    Sie wollte Hisao noch mehr erzählen, doch Akio packte sie beim Hals, tastete nach der Arterie und drückte die entsprechende Stelle, bis Maya das Bewusstsein verlor.

KAPITEL 36

    Shigeko war oft von Hagi nach Hofu gesegelt und umgekehrt, aber nie weiter nach Osten und auch noch nie längs der geschützten Küste der Umschlossenen See bis nach Akashi. Das Wetter war schön, die Luft leuchtend klar, der Südwind sanft, aber kräftig genug, um die neuen Segel des Schiffes zu blähen. Schäumend durchschnitten sie das grünblaue Wasser. Ringsumher erhoben sich kleine Inseln jäh aus dem Meer, die Hänge von dunkelgrünen Zedern bedeckt, die Ufer weiß gesäumt. Shigeko sah die Tore von Schreinen, die in der Sonne zinnoberrot leuchteten, dunkle, mit Zypressenholz gedeckte Tempeldächer, und manchmal tauchten unvermittelt die weißen Mauern des Schlosses eines Kriegers auf.
    Anders als Maya war sie nie seekrank gewesen, selbst auf den stürmischsten Fahrten zwischen Hagi und Maruyama nicht, wenn die Nordostwinde über das stahlgraue Meer tosten und dessen mit Gischt gefleckte Oberfläche in eine Landschaft aus Klippen und Schluchten verwandelten. Ihr gefielen die Schiffe und das Segeln, die Gerüche der See und von Takelage und Balken, das Klatschen der Segel, das Rauschen des Kielwassers und das Knarren des Holzes und der Gesang des Rumpfes, wenn er durch die Wellen glitt.
    Die Laderäume des Schiffes waren mit allen möglichen Geschenken gefüllt, dazu mit verzierten Sätteln und Steigbügeln für Shigeko und Hiroshi, mit feierlichen, formellen Gewändern, alle neu bestickt, gefärbt und bemalt von den talentiertesten Künstlern und Gewandmachern in Hagi und Maruyama. Doch die wichtigsten Geschenke befanden sich an Deck unter einem Schutzdach

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