Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers
seine neuesten Entdeckungen und Theorien mit jedem, dem er begegnete. Der Reiswein löste seine Zunge sogar noch mehr, und er vergaà mit schöner RegelmäÃigkeit, worüber er am Abend zuvor geschwatzt hatte. Er genoss alle Vorzüge, die der Frieden mit sich brachte â das reichliche Essen, die Freiheit zu reisen, den Austausch mit den Fremden und die wundersamen Kuriositäten, die sie vom anderen Ende der Welt mitbrachten â, und zwar so sehr, dass er nicht sehen wollte, wie gefährdet der Friede in jedem einzelnen Augenblick war, dass man nicht jedem vertrauen, dass es sogar innerhalb der eigenen Familie Feinde geben konnte.
Also vertraute Shizuka ihm ihre Sorgen über Taku und Zenko nicht an, und Ishida hatte den Abend in Hofufast vergessen, an dem er Zenko, Hana und Lord Kono seine Theorien über die Macht des menschlichen Geistes erklärt und sich über die selbsterfüllende Kraft von Prophezeiungen sowie darüber ausgelassen hatte, in welcher Hinsicht dies auf Takeo zutraf.
Sunaomi und Chikara waren traurig, dass Shizuka abreiste, aber Hana, ihre Mutter, wurde noch vor dem Ende des Monats in Hagi erwartet, und auÃerdem waren sie zu sehr mit Unterricht und Training beschäftigt, um ihre GroÃmutter zu vermissen. Seit ihrer Ankunft in Hagi hatte Shizuka darauf geachtet, ob sie irgendwelche Stammesfähigkeiten entwickelten, doch die Jungen schienen ganz normale Kriegersöhne zu sein und sich nicht von den anderen Altersgenossen zu unterscheiden, mit denen sie trainierten, wetteiferten und sich kabbelten.
Kaede umarmte sie, schenkte ihr einen Kapuzenmantel, wie er gerade in Mode war, und ein Pferd aus den Ställen, eine Stute, die Shizuka schon oft geritten war. Es war einfacher, ein Pferd zu finden als einen Reisebegleiter, und Shizuka vermisste Kondo Kiichi, der durch seine Kampfkünste und Treue für eine solche Reise wie geschaffen gewesen wäre. Sie bedauerte seinen Tod, und da er keine Kinder gehabt hatte, übernahm sie die Aufgabe, die Erinnerung an ihn zu bewahren und für ihn zu beten.
Für Geheimniskrämerei oder eine Verkleidung gab es keinen Anlass, aber da Shizuka zur Vorsicht erzogen worden war, lehnte sie Kaedes Angebot einer Eskorte von Otorikriegern ab. SchlieÃlich wählte sie Bunta aus,einen Mann, der vor vielen Jahren ihr Spitzel in Maruyama gewesen war. Er hatte als Pferdeknecht für Lady Maruyama Naomi gearbeitet, hatte sich zum Zeitpunkt ihres Todes in Inuyama befunden und war während des Krieges dort geblieben. Daher hatte er zwar Angehörige verloren, als Takeo die Stammesfamilien in Maruyama ausgehoben hatte, war aber mit dem Leben davongekommen. Nach dem Krieg und dem Erdbeben war er nach Hagi gelangt und hatte seitdem in den Diensten der Otori gestanden. Er war ein paar Jahre jünger als Shizuka, stammte aus der Imaifamilie, war auf den ersten Blick wortkarg und gehorsam, besaà aber einige ungewöhnliche Fähigkeiten, war ein geübter Taschendieb, ein lakonischer Geschichtenerzähler, der jedem Informationen entlocken konnte, und ein Meister im StraÃenkampf und im Kampf mit bloÃen Händen, der mit den trinkfestesten Zechkumpanen bechern konnte, ohne je seine Selbstkontrolle zu verlieren. Ihre gemeinsame Vergangenheit verband die beiden, und Shizuka hatte das Gefühl, ihm vertrauen zu können.
Während des Winters hatte er sie immer wieder mit kleinen Informationen versorgt, und zu Beginn der Schneeschmelze war er auf ihre Bitte hin nach Yamagata gereist, um, wie er es ausdrückte, herauszufinden, woher der Wind wehte. Die Neuigkeiten, die er mitbrachte, waren verstörend: Taku war nicht nach Inuyama zurückgekehrt, sondern hielt sich noch in Hofu auf; Zenko hatte viel mit den Kikuta zu tun und betrachtete sich als das Oberhaupt der Mutofamilie; die Familie selbst war gespalten. All dies hatte Shizuka mit Takeo besprochen,bevor dieser abgereist war, aber sie hatten keine Beschlüsse gefasst. Die Geburt seines Sohnes und seine Vorbereitungen für die Reise nach Miyako hatten ihn ganz in Anspruch genommen. Nun fühlte Shizuka sich verpflichtet, die Sache selbst in die Hand zu nehmen: Sie musste alles tun, damit die Mutofamilie nicht abtrünnig wurde, und sie musste dafür sorgen, dass die Zwillingsschwestern Maya und Miki in Sicherheit waren.
Sie liebte die beiden, als wären sie die Töchter, die sie nie bekommen hatte. Sie hatte sich um sie gekümmert,
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