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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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in ihrem Gesicht traten stärker hervor und die Augen leuchteten in tiefen Höhlen.
    Als sie sich in der Küche versammelt hatten, um das Abendessen vorzubereiten, fragte Shizuka Kana: »War Miki krank?«, denn im Frühjahr litten die Menschen oft an Fieber und Magenbeschwerden.
    Â»Du dürftest gar nicht in der Küche sein!«, schalt Kana sie. »Du bist der geehrte Gast. Du solltest bei den Männern sitzen.«
    Â»Ich gehe gleich zu ihnen. Erzähl mir von Miki.«
    Kana drehte sich nach dem Mädchen um, das beim Herd saß und die Suppe umrührte, die im Eisentopf an einem fischförmigen Haken über dem Feuer hing.
    Â»Ja, sie ist sehr dünn geworden«, stimmte Kana zu. »Aber sie hat sich nie beklagt. Oder, mein Kind?«
    Â»Sie beklagt sich nie«, fügte Miyabi lachend hinzu. »Sie ist so zäh wie ein Mann. Komm her, Miki, damit Shizuka deine Arme fühlen kann.«
    Miki kniete sich wortlos dicht neben Shizuka und diese umfasste den Oberarm des Mädchens. Er fühlte sich nicht wie Fleisch an, sondern wie Stahl, alles war Muskel und Knochen.
    Â»Geht es dir wirklich gut?«
    Miki nickte unmerklich.
    Â»Komm, wir gehen spazieren. Dann kannst du mir erzählen, was dir Sorgen macht.«
    Â»Mit dir wird sie reden, obwohl sie sich niemand anderem öffnet«, sagte Kana leise.
    Â»Shizuka«, flüsterte Miyabi noch leiser. »Sei auf derHut. Die jungen Männer …« Sie warf einen Blick zum Hauptraum des Hauses, aus dem gedämpft und undeutlich Männerstimmen drangen. Shizuka hörte Bunta heraus. »Es herrscht eine gewisse Unzufriedenheit«, sagte Miyabi unbestimmt, da sie ganz offensichtlich Angst hatte, dass man sie hören konnte.
    Â»Das habe ich schon gehört. In Yamagata und Tsuwano ist es das Gleiche. Ich reise nach Hofu und dort werde ich die Lage mit meinen Söhnen besprechen. Morgen oder übermorgen breche ich auf.«
    Miki kniete immer noch dicht neben ihr. Shizuka hörte, wie sie leise einatmete, und spürte ihre wachsende Anspannung, als sich das Mädchen versteifte. Sie legte Miki einen Arm um die Schultern und erschrak angesichts der Knochen dicht unter der Haut, die so spitz und zerbrechlich waren wie die eines Vogelflügels.
    Â»Geh und hol deine Sandalen. Wir gehen zum Schrein und begrüßen die Götter.«
    Kana gab Miki ein paar Reiskuchen als Gabe für die Götter. Shizuka warf sich den Kapuzenmantel über die Schultern, denn es war noch kälter geworden. Der Mond stand trübe am dunstigen Himmel, umgeben von einem großen Hof, und sein Licht warf Schatten über die Straße und unter den Bäumen, die den Schrein umstanden. Obwohl der Vollmond des fünften Monats zwei Tage zurücklag, war es hier oben in den Bergen immer noch so kalt, dass Frösche und Grillen schwiegen. Nur die abrupten Paarungsrufe der Eulen waren zu hören.
    Der Schrein wurde von zwei Lampen erhellt, die zu beiden Seiten des Altars angebracht worden waren.Miki stellte die Reiskuchen vor die Statue von Hachiman und sie klatschten beide in die Hände und verneigten sich dreimal. Shizuka hatte hier vor langer Zeit für Takeo und Kaede gebetet, und als sie nun für Kondos Geist betete und ihn ihrer Dankbarkeit versicherte, bat sie um das Gleiche.
    Â»Ob die Götter Maya beschützen?«, fragte Miki, die zu den geschnitzten Gesichtern der Statuen aufsah.
    Â»Hast du sie darum gebeten?«
    Â»Ja, das tue ich jedes Mal. Auch für Vater. Aber ich verstehe nicht, wie sie alle Gebete erhören können, wenn jeder etwas anderes von ihnen möchte. Ich bete für Vaters Sicherheit, aber viele andere beten für seinen Tod.«
    Â»Bist du deshalb so dünn geworden? Weil du dir Sorgen um deinen Vater machst?«
    Â»Ich wünschte, ich wäre bei ihm. Und Maya auch.«
    Â»Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, warst du rundum zufrieden und wohlauf. Was ist seitdem passiert?«
    Â»Ich schlafe schlecht. Ich habe Angst vor den Träumen.«
    Â»Vor welchen Träumen?«, hakte Shizuka nach, als Miki verstummte.
    Â»Träume, in denen ich bei Maya bin. Sie ist die Katze und ich bin ihr Schatten. Sie entzieht mir alles und ich muss ihr folgen. Deshalb versuche ich wach zu bleiben und dann höre ich die Männer reden. Sie reden immer über das Gleiche: über die Mutofamilie, über Zenko und die Kikuta, und sie fragen sich, ob eine Fraudas Oberhaupt der

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