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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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du denn nicht, wer du bist? Es gibt niemanden mehr im Stamm, in allen fünf Familien nicht, der deine Fähigkeit erkennen könnte. Ich erzähle dir jetzt, was mir mein Vater im Augenblick seines Todes sagte. Du bist ein Herr der Geister.«
    Viel später, als Maya wieder in ihr Zimmer zurückgekehrt war, schlaflos dalag und zusah, wie sich die Dunkelheit langsam zur Dämmerung aufhellte, durchlebtesie noch einmal den Moment, als sie den Geist diese Worte hatte sprechen hören – ihr war ein Schauder über den Rücken gelaufen und sie hatte das Fell gesträubt. Hisaos Hand hatte fest in ihren Nacken gegriffen. Er hatte nicht ganz begriffen, was diese Enthüllung zu bedeuten hatte, aber Maya erinnerte sich an Takus Worte: Der Herr der Geister wandelte zwischen den Welten, er war ein Schamane und besaß die Macht, die Toten zu besänftigen oder zu reizen. Sie erinnerte sich an die Stimmen jener Verstorbenen, die sie in der Nacht des Totenfestes am Ufer vor Akanes Haus umringt hatten. Sie hatten ihre gewaltsamen und vorzeitigen Tode bedauert und sich nach Rache gesehnt. Sie suchten Hisao, ihren Herrn, und in Gestalt der Katze verlieh sie ihm Macht über die Geister. Aber warum besaß Hisao, dieser grausame und seltsame Junge, eine solche Macht? Und wie würde Akio sie einsetzen, wenn er sie entdeckte?
    Hisao hatte nicht gewollt, dass sie ging. Sie spürte, wie sehr er sie brauchte, und das übte einen Reiz auf sie aus, schreckte sie aber auch ab. Er schien Akio nicht von seiner Fähigkeit erzählen zu wollen, noch nicht … Maya begriff nicht ganz, was er wirklich für diesen Mann empfand, den er immer für seinen Vater gehalten hatte – es war eine Mischung aus Liebe und Hass, Verachtung und Mitleid und Angst.
    Diese Gefühle kannte sie, denn sie empfand das Gleiche für ihn.
    Sie tat kein Auge zu, und als Noriko ihr morgens Reis und Suppe brachte, hatte sie kaum Appetit. Norikos Augen waren rot, als hätte sie geweint.
    Â»Du musst etwas essen«, sagte Noriko. »Und dich dann bereit machen zu reisen.«
    Â»Reisen? Wohin denn?«
    Â»Lord Arai kehrt nach Kumamoto zurück. In Hofu brodelt es. Muto Shizuka fastet in Daifukuji und wird von den Vögeln ernährt.« Noriko zitterte. »Das dürfte ich dir eigentlich gar nicht erzählen. Der Meister soll Lord Arai begleiten und Hisao auch. Sie nehmen dich natürlich mit.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen und sie tupfte sie mit dem geflickten Ärmel ihres Gewandes ab. »Hisao geht es so gut, dass er reisen kann. Ich sollte glücklich sein.«
    Sei froh, dass er dich verlässt , dachte Maya. Sie sagte: »Dann ist Shizuka in Hofu?«
    Â»Sie ist gekommen, um ihren jüngeren Sohn zu beerdigen, und angeblich hat sie den Verstand verloren. Die Leute geben Lord Arai die Schuld daran – und werfen ihm vor, in den Mord an Taku verwickelt zu sein. Er tobt vor Wut und reist nach Hause, um seine Armee auf den Krieg vorzubereiten, bevor Lord Otori aus Miyako zurückkehrt.«
    Â»Was redest du für einen Unsinn? Du hast doch keine Ahnung von diesen Dingen!« Maya verbarg ihr Erschrecken hinter Wut.
    Â»Ich erzähle dir das nur, weil du Hisao geholfen hast«, erwiderte Noriko. »Mehr sage ich nicht.« Sie schürzte die Lippen und blickte verdrossen und beleidigt vor sich hin.
    Maya nahm die Suppenschale und trank sie aus. Ihre Gedanken überstürzten sich. Sie durfte nicht zulassen,dass man sie nach Kumamoto mitnahm. Sie wusste, Zenkos Söhne Sunaomi und Chikara waren als Unterpfand für die Treue ihres Vaters nach Hagi geschickt worden. Zenko würde nicht zögern, mit ihr einen ähnlichen Druck auf ihren Vater auszuüben. Hofu lag im Mittleren Land und war den Otori treu ergeben – sie kannte die Stadt und den Heimweg. Kumamoto lag weit im Westen und die Stadt war ihr fremd. War sie erst einmal dort, dann gab es kein Entkommen mehr.
    Â»Wann brechen wir auf?«, fragte sie langsam.
    Â»Sobald der Meister und Hisao so weit sind. Ihr werdet noch vor dem Mittag unterwegs sein. Ich habe gehört, dass Lord Arai Wachen schickt.« Noriko sammelte die Schalen ein. »Die muss ich wieder in die Küche bringen.«
    Â»Ich habe noch nicht aufgegessen.«
    Â»Was kann ich dafür, dass du so langsam isst?«
    Â»Ich habe sowieso keinen Hunger.«
    Â»Es ist ein weiter Weg bis Kumamoto«, sagte Noriko, als sie

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