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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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Reaktion immer noch etwas behinderte. Sein Blick verschwamm und er taumelte. Er schien etwas anzustarren, das dicht hinter ihr stand, und auf ein Flüstern zu horchen.
    Maya hielt dies für ein Ablenkungsmanöver und behielt ihn weiter im Auge. Der Geruch nach Fäulnis und Moder nahm zu. Im Zimmer war es unerträglich heiß und das dichte Fell der Katze raubte ihr den Atem. Sie hörte rechts von sich jemanden flüstern, und obwohl sie keine Worte verstand, wusste sie, dass es nicht Noriko war. Es war noch jemand im Zimmer.
    Sie warf einen Blick zur Seite und sah die Frau. Sie war jung, vielleicht neunzehn oder zwanzig, mit kurzen Haaren und bleichem Gesicht. Sie trug ein weißes Gewand, befand sich offenbar in der Welt der Toten und schwebte über dem Boden. Ihre Miene war so wütend und verzweifelt, dass sogar Maya Mitleid hatte. Sie merkte, Hisao wollte den Geist anschauen, fürchtete ihn aber zugleich. Der Geist der Katze, von dem Maya besessen war, bewegte sich ungehindert zwischen den Welten, und zum ersten Mal suchte sie seinen Rat und seine Weisheit.
    Das hat Taku also gemeint , dachte sie, während sie begriff, was sie der Katze verdankte. Und gleich danach überlegte sie, wie sie die Macht nutzen konnte, die diese ihr verlieh.
    Die Frau rief ihr zu: »Hilf mir! Hilf mir!«
    Â»Was willst du?«, fragte die Katze.
    Â»Ich will, dass mein Sohn mir zuhört!«
    Bevor sie darauf antworten konnte, kam Hisao auf sie zu.
    Â»Du bist zurück!«, sagte er. »Du hast mir verziehen. Komm her, ich möchte dich berühren. Bist du auch ein Geist? Kann ich dich in den Arm nehmen?«
    Er streckte eine Hand aus, und die Katze sah, wie sich diese Hand verändert hatte: Sie hatte sich gewölbt und schien sich danach zu sehnen, das dichte Fell der Katze zu berühren. Zu Mayas Erstaunen und Missfallen reagierte die Katze, als wäre Hisao ihr Herr, senkte den Kopf, legte die Ohren an und erlaubte ihm, sie zu streicheln.
    Maya gehorchte der Weisheit der Katze. Hisaos Berührung vereinigte etwas, das ihnen beiden gegeben war. Er keuchte. Maya spürte seine Schmerzen, als wären sie in ihrem Kopf, und dann verflogen sie. Sie schaute durch seine Augen, die halb blind waren, sah die Lichter kreisen wie die Zahnräder irgendeines Folterinstruments, und dann klarte sich die Welt auf eine neue Art auf und Hisao sagte: »Mutter?«
    Die Geisterfrau sprach. »Endlich!«, sagte sie. »Hörst du mir jetzt zu?«
    Seine Hand lag noch auf dem Kopf der Katze. Maya spürte seine Verwirrung, seine Erleichterung über das Nachlassen der Schmerzen, seine Furcht vor dem Betreten der Welt der Toten, seine Angst vor der Kraft, die in ihm erwachte und die er noch nicht wirklich begriff. Am Rand ihres Bewusstseins lauerte eine ähnliche Angst – vor einem Weg, den sie eigentlich nicht einschlagen wollte, ein Weg, den sie gemeinsam mit Hisao gehen musste, obwohl sie ihn hasste und ihn töten wollte.
    Draußen rief Noriko: »Schnell! Der Meister kehrt zurück!«
    Hisao zog die Hand von ihrem Kopf. Maya nahm erleichtert wieder ihre eigentliche Mädchengestalt an. Sie wollte Hisao entfliehen, doch er ergriff sie beim Arm. Sie meinte, seinen Griff bis ins Mark ihrer Knochen zu spüren. Er musterte sie mit erstauntem, verlangendem Blick.
    Â»Geh nicht«, sagte er. »Erzähl mir: Hast du sie gesehen?«
    Noriko, die auf der Schwelle stand, sah von Maya zu Hisao. »Es geht dir besser«, rief sie. »Sie hat dich geheilt!«
    Beide achteten nicht auf sie.
    Â»Natürlich habe ich sie gesehen«, sagte Maya, als sie an ihm vorbeiglitt. »Sie ist deine Mutter und sie möchte, dass du ihr zuhörst.«

KAPITEL 43

    Er wird es Akio erzählen , dachte sie, als sie von Noriko eilig zum versteckten Zimmer zurückgeführt wurde. Er erzählt ihm alles. Akio wird von der Katze erfahren. Entweder werden sie mich töten oder mich irgendwie gegen Vater einsetzen. Ich sollte fliehen. Ja, ich muss nach Hause. Ich werde Mutter vor Zenko und Hana warnen. Ich muss nach Hause.
    Doch die Katze hatte die Hand ihres Herrn auf dem Kopf gespürt und zögerte zu verschwinden. Und wider besseres Wissen wollte Maya noch einmal den Moment erleben, in dem sie zwischen den Welten gewandelt war und mit den Geistern gesprochen hatte. Sie wollte erfahren, was sie wussten, wie das Sterben war, sie wollte alle Geheimnisse hören, die die Toten vor den

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