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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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Pass bei nassem Wetter überqueren, und war erleichtert. Doch die Hitze nahm weiter zu und der abnehmende Mond hatte einen rötlichen Schimmer, der alle in Unruhe versetzte. Die Pferde magerten ab, und die Pferdeknechte hatten Angst, dass sie Würmer haben könnten oder Sand gefressen hatten. Bei Nacht wurden Menschen und Tiere von Sandfliegen und Moskitos geplagt. Und als der junge Mond des siebten Monats am Himmel stand, grollte jede Nacht der Donner und Blitze zuckten, aber es regnete nicht.
    Gemba war sehr still geworden. Takeo wachte nachts oft auf und sah ihn reglos in Meditation oder im Gebet dasitzen, und mehrere Male träumte er oder stellte sich vor, dass Makoto weit weg in Terayama das Gleiche tat. Takeo träumte von zerrissenen Fäden und leeren Kästchen, von blinden Spiegeln und Männern ohne Schatten. Irgendetwas ist aus dem Lot , hatte Gemba gesagt, und er spürte es im Fluss seines Blutes und am Gewicht seiner Knochen. Die Schmerzen, die auf der Hinreise nachgelassen hatten, kehrten zurück und schienen noch schlimmer zu sein als zuvor. Mit einem Nachdruck, den er selbst nicht ganz verstand, gab er Befehl, noch schneller zu reiten. Sie standen vor dem Anbruch der Dämmerung auf und ritten im Licht des Mondes.
    Als dieser kurz vor dem ersten Viertel stand, waren sie nicht mehr weit vom Falkenpass entfernt – eine halbe Tagesreise, wie Sakai Masaki zu berichten wusste, der zur Erkundung vorausgeritten war.
    Der Wald zu beiden Seiten des Pfades wurde immer dichter und bestand aus Eichen und Weißbuchen, auf den höher gelegenen Hängen aus Zedern und Kiefern. Sie schlugen ihr Lager unter den Bäumen auf. Eine Quelle versorgte sie mit Wasser, doch sie mussten sparsam mit dem Proviant sein, da er fast aufgebraucht war. Takeos Schlaf war leicht, und er wachte auf, als einer der Wachtposten rief: »Lord Otori!«
    Die Dämmerung hatte gerade eingesetzt, die Vögel hatten ihren Gesang angestimmt. Takeo öffnete die Augen, glaubte aber, noch zu träumen, denn als er wie gewohnt zuerst einen Blick auf die Reihe der Pferde warf, erblickte er das Kirin.
    Es stand neben Tenba, den langen Hals gesenkt und die Beine gespreizt. Sein Kopf hing dicht neben den Pferden und die Zeichnung seines Fells leuchtete unheimlich weiß im grauen Licht.
    Takeo stand mit steifen und schmerzenden Gliedernauf. Hiroshi, der nicht weit entfernt von ihm geschlafen hatte, war schon auf den Beinen.
    Â»Das Kirin ist zurück?«, rief Hiroshi.
    Sein Ausruf weckte die anderen, und kurz darauf war das Kirin von Menschen umringt.
    Es zeigte große Freude darüber, bei ihnen zu sein, stupste Shigeko mit der Schnauze und leckte mit seiner langen grauen Zunge Hiroshis Hand. Sein Fell war an vielen Stellen zerkratzt, die Knie aufgeschlagen und blutig. Es schonte den linken Hinterlauf und sein Hals wies Brandmale auf, als hätte es immer wieder versucht, sich loszureißen.
    Â»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Takeo erschrocken. Er stellte sich vor, wie das Tier durch die fremde Landschaft geflohen war, mit langen, ungelenken Schritten, einsam und verängstigt. »Wie konnte es entkommen? Hat man es freigelassen?«
    Â»Genau das habe ich befürchtet«, antwortete Shigeko. »Wir hätten länger bleiben und erst einmal sicherstellen sollen, dass es zufrieden ist. Darf ich es zurückbringen, Vater?«
    Â»Dafür ist es zu spät«, antwortete er. »Schau es dir an. In diesem Zustand können wir es dem Kaiser unmöglich zurückbringen.«
    Â»Es würde die Reise nicht überleben«, stimmte Hiroshi zu. Er ging zur Quelle, füllte einen Kübel mit Wasser und ließ das Kirin trinken. Dann begann er, das verkrustete Blut aus den Wunden zu waschen. Die Haut zuckte und zitterte zwar, aber das Tier hielt still. Tenba wieherte ihm leise zu.
    Â»Wie sollen wir uns verhalten?«, fragte Takeo Gemba, nachdem das Tier gefüttert worden war und man Befehl gegeben hatte, so schnell wie möglich wieder aufzubrechen. »Sollen wir unseren Weg in die Drei Länder fortsetzen und das Kirin mitnehmen? Oder sollen wir irgendeine Entschädigung nach Miyako schicken?« Er schwieg eine Weile und betrachtete seine Tochter, die das Tier beruhigte und streichelte. »Seine Flucht stellt mit Sicherheit eine Beleidigung für den Kaiser dar«, fuhr er leise fort.
    Â»Ja, das Kirin wurde als Zeichen der Gunst des Himmels begrüßt«, sagte

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