Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers
im Kampf gefallen. Er hatte niemanden verraten. Er war gemeinsam mit Sada gestorben. An seinem Tod gab es nichts zu bedauern. Hisaos Stichelei verletzte oder schwächte sie nicht.
»Lord Otori ist dein Vater«, sagte sie. »Darum habe ich versucht, dich zu töten. Weil du nicht ihn töten sollst.«
»Akio ist mein Vater.« In seiner Stimme schwangen Wut und Zweifel mit.
»Akio behandelt dich grausam, missbraucht und belügt dich. Er ist nicht dein Vater. Du weiÃt doch gar nicht, wie sich ein Vater gegenüber seinen Kindern verhalten muss.«
»Er liebt mich«, flüsterte Hisao. »Das zeigt er niemandem, aber ich weiÃ, dass es so ist. Er braucht mich.«
»Frag deine Mutter«, erwiderte Maya. »Habe ich dir nicht gesagt, du sollst ihr zuhören? Sie wird dir die Wahrheit erzählen.«
Wieder trat ein langes Schweigen ein. Es war heiÃ. Maya spürte den Schweià auf ihrer Stirn. Sie hatte Durst.
»Verwandele dich wieder in die Katze und dann höre ich ihr zu«, sagte er so leise, dass sie ihn kaum verstand.
»Ist sie da?«
»Sie ist immer da«, sagte Hisao. »Sie ist durch ein Band mit mir verbunden, so wie ich einmal mit ihr verbunden war. Ich werde sie nicht los. Manchmal schweigt sie. Dann ist es auszuhalten. Nur wenn sie reden will â dann werde ich wieder krank.«
»Weil du dich gegen die Welt der Geister wehrst«, sagte Maya. »Mir ging es genauso. Wenn die Katze erscheinen wollte und ich mich dagegen gewehrt habe, war ich genauso krank.«
»Ich habe nie irgendwelche Stammesfähigkeiten gehabt«, sagte Hisao. »Ich bin nicht wie du. Ich kann mich nicht unsichtbar machen. Ich kann das zweite Ich nicht einsetzen. Mir wird schon übel, wenn ich so etwas miterlebe. Aber die Katze macht mich nicht krank. Die Katze gibt mir ein gutes Gefühl, sie gibt mir Macht.«
Er schien nicht zu merken, dass sich seine Stimme verändert hatte und fast hypnotisch klang. Maya konnte ihrem Reiz nicht widerstehen und spürte, wie sich die Katze voller Verlangen streckte und dehnte. Hisao zog den geschmeidigen Körper an sich und streichelte über das dichte Fell.
»Bleib dicht bei mir«, flüsterte er. Dann sagte er lauter: »Ich werde anhören, was du mir zu sagen hast, Mutter.«
Die Flammen von Schmiedeofen und Lampe flackerten und wurden schwächer, als plötzlich ein feuchtwarmer Windstoà über den dreckigen FuÃboden fuhr, den Staub aufwirbelte und an den Fensterläden rüttelte. Dann flammte die Lampe wieder auf. Sie brannte stärker als zuvor und erhellte die näher kommende, dicht über dem Boden schwebende Geisterfrau. Der Junge saà reglos da, eine Hand auf dem Kopf der Katze mit den goldenen Augen, die neben ihm lag und mit keiner Wimper zuckte.
»Kind«, sagte die Mutter mit bebender Stimme, »lass mich dich berühren, lass mich dich umarmen.« Ihre dünnen Finger berührten seine Stirn, streichelten sein Haar, und er spürte ihre Gestalt dicht neben sich, fühlte einen sanften Druck, als sie ihn in den Arm nahm.
»So habe ich dich gehalten, als du ein Baby warst.«
»Ich weië, flüsterte er.
»Es war so schwer, dich zu verlassen. Ich musste Gift nehmen, auf Befehl von Kotaro und Akio, der aus Liebe geweint hat, als er dem Meister gehorchte und michzwang, die Kügelchen zu schlucken. Dann sah er zu, wie ich unter seelischen und körperlichen Qualen starb. Aber sie konnten mich nicht von dir fernhalten. Ich war erst zwanzig Jahre alt. Ich wollte nicht sterben. Akio hat mich getötet, weil er deinen Vater hasste.«
Hisao knetete das Fell der Katze so stark, dass sie ihre Krallen zeigte.
»Wer war mein Vater?«
»Das Mädchen hat Recht. Sie ist deine Schwester. Takeo ist dein Vater. Ich habe ihn geliebt. Sie haben mir befohlen, mit ihm zu schlafen, damit du gezeugt wurdest. Ich habe ihnen in jeder Hinsicht gehorcht. Aber sie hatten nicht geahnt, dass ich mich in Takeo verlieben würde. Du bist das Kind einer süÃen Leidenschaft und deshalb wollten sie uns alle vernichten. Zuerst mich. Nun benutzen sie dich, damit du deinen Vater tötest, und danach wirst auch du sterben.«
»Du lügst«, sagte er mit rauer Kehle.
»Ich bin tot«, erwiderte sie. »Nur die Lebenden lügen.«
»Ich habe den Hund mein ganzes Leben lang gehasst. Daran kann ich jetzt nichts ändern.«
»WeiÃt
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