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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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Gemba. »Nun hat es gezeigt, dass es dich Seiner Göttlichen Majestät vorzieht. Das wird man als eine schlimme Beleidigung auffassen.«
    Â»Was kann ich tun?«
    Â»Du kannst dich auf eine Schlacht vorbereiten, denke ich«, sagte Gemba gelassen. »Oder dir das Leben nehmen, wenn du das für eine bessere Idee hältst.«
    Â»Du hast alles vorausgesehen: den Ausgang des Wettkampfes, dass ich Jato abgebe, meinen Sieg. Hast du das hier nicht vorausgesehen?«
    Â»Alles hängt mit Ursache und Wirkung zusammen«, antwortete Gemba. »Ein gewaltsamer Zwischenfall wie Takus Tod löst eine ganze Folge von Ereignissen aus, und offenbar ist dieses eines davon. Man kann unmöglich alles voraussehen – oder verhindern.« Er tätschelte Takeos Schulter, wie Shigeko das Kirin tätschelte. »Es tut mir leid. Ich habe dir ja schon gesagt, dass irgendetwas aus dem Lot ist. Ich habe versucht, das Gleichgewicht zu bewahren, aber es ist gestört worden.«
    Takeo, der nicht richtig begriff, starrte ihn an. »Ist meinen Töchtern etwas geschehen?« Er holte tief Luft. »Meiner Frau?«
    Â»Ãœber solche Einzelheiten weiß ich nicht Bescheid. Ich bin kein Zauberer oder Schamane. Ich weiß nur, dass einer der Fäden, die dieses feine Netz zusammengehalten haben, zerrissen wurde.«
    Takeo hatte vor Furcht einen trockenen Mund. »Kann man es wieder flicken?«
    Gemba schwieg zu dieser Frage, und im gleichen Moment hörte Takeo im Geräuschgewirr der Aufbruchsvorbereitungen Hufgetrappel in der Ferne.
    Â»Irgendjemand kommt schnell auf uns zugeritten«, sagte er.
    Wenige Augenblicke später reckten die aufgereihten Pferde die Köpfe und wieherten, und das näher kommende Pferd wieherte zur Antwort, als es nach der Biegung des Pfades in Sicht kam.
    Es war eines der Maruyamapferde, die Shigeko Lord Saga geschenkt hatte, und sein Reiter war Lord Kono.
    Hiroshi rannte los, um das Zaumzeug zu ergreifen, als Lord Kono anhielt. Kono sprang aus dem Sattel. Seine Trägheit war wie weggeblasen und er wirkte so stark und geschickt wie beim Wettkampf.
    Â»Lord Otori, ich bin froh, Sie eingeholt zu haben.«
    Â»Lord Kono«, erwiderte Takeo. »Ich fürchte, ich kann Ihnen kaum etwas Erfrischendes anbieten. Wir wollten gerade aufbrechen. Wir werden gegen Mittag die Grenze überqueren.« Es war ihm egal, ob der Edelmann beleidigt war oder nicht. Er glaubte nicht,dass ihn in dieser Situation noch irgendetwas retten konnte.
    Â»Ich bitte Sie, noch ein wenig zu warten«, drängte Kono ihn. »Lassen Sie uns unter vier Augen reden.«
    Â»Ich wüsste nicht, was Sie mir jetzt noch zu sagen hätten.« Beunruhigung hatte sich in Wut verwandelt. Takeo spürte, wie sie sich hinter seinen Augen ballte. Seit Monaten hatte er sich in unendlicher Geduld und Selbstbeherrschung geübt. Nun musste er erleben, wie alle seine Bemühungen durch einen Zufall zunichtegemacht wurden – durch die instinktive Vorliebe eines Tieres für seine vertrauten Begleiter statt für Fremde.
    Â»Lord Otori, ich weiß, Sie sehen mich als einen Feind, aber glauben Sie mir: Ich will nur Ihr Bestes. Geben Sie mir die Zeit, Ihnen die Botschaft Lord Sagas zu übermitteln.«
    Ohne auf Takeos Antwort zu warten, ging er ein paar Meter bis zu einer umgestürzten Zeder, die einen natürlichen Sitzplatz bot. Er setzte sich und winkte Takeo, zu ihm zu kommen. Takeo schaute nach Osten. Der Gebirgskamm hob sich pechschwarz vom glühenden Morgenhimmel ab und war schon von Gold gesäumt.
    Â»Ich gebe Ihnen Zeit, bis die Sonne über die Gipfel steigt«, sagte er.
    Â»Lassen Sie mich berichten, was geschehen ist. Der Triumph Ihres Besuchs war schon ein wenig durch Ihre frühe Abreise getrübt worden. Der Kaiser hatte gehofft, sie noch besser kennenzulernen, denn Sie haben einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht. Aber er war hochzufrieden mit Ihren Geschenken, vor allem mit diesemGeschöpf. Als es nach Ihrer Abreise immer unruhiger wurde, begann er, sich Sorgen zu machen. Er hat es jeden Tag persönlich besucht, aber es trauerte und hat drei Tage lang nichts gefressen. Dann ist es ausgerissen. Wir haben es natürlich verfolgt, konnten es aber nicht einfangen, und schließlich ist es uns endgültig entwischt. Die Stimmung in der Stadt schlug um: Erst freute man sich, weil unser Kaiser vom Himmel gesegnet worden war, aber dann kam Spott auf, weil der

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