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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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seiner Macht ganz bewusst wird, wird er wirklich böse werden. Aber bis dahin kann er noch gerettet werden.« Sie beugte sich vor und ließ die Kapuze von ihrem Gesicht gleiten. »Sobald er gerettet worden ist, werde ich diese Welt verlassen. Ich kann nicht zulassen, dass mein Kind seinen richtigen Vater tötet. Aber sein falscher Vater muss dafür büßen, dass er mich so grausam ermordet hat.«
    Sie ist schön , dachte Maya. Anders als Mutter, aber so, wie ich es gern wäre – auf eine kraftvolle, lebendige Art. Ich wünschte, sie wäre meine Mutter gewesen. Ich wünschte, sie wäre nicht gestorben.
    Â»Jetzt müsst ihr schlafen. Wandert weiter nach Norden. Ich werde euch nach Hagi führen und euch zu essen geben. Wir werden euren Vater finden und ihn warnen, solange wir noch frei sind, und danach werden wir Hisao retten.«
    Yuki wusch ihnen die Hände wie am letzten Abend, aber dieses Mal streichelte sie sie zärtlicher und wie eine Mutter. Ihre Berührung war fest und echt. Sie fühlte sich nicht an wie ein Geist, aber morgens erwachten dieMädchen im leeren Wald. Die Geisterfrau war verschwunden.
    Miki war noch schweigsamer als am Vortag. Mayas Laune schwankte zwischen der Vorfreude darauf, Yuki am Abend wiederzusehen, Angst davor, dass ihnen Akio und Hisao schon dicht auf den Fersen sein könnten, und einer tieferen Beunruhigung. Sie versuchte, Miki zum Reden zu bringen, aber die Antworten ihrer Schwester waren kurz und unbefriedigend.
    Â»Glaubst du, wir haben einen Fehler begangen?«, fragte Maya.
    Â»Jetzt ist es zu spät«, sagte Miki kurz angebunden. Dann wurde sie etwas milder. »Wir haben ihr Essen und ihre Hilfe angenommen. Daran können wir nichts mehr ändern. Jetzt müssen wir nach Hause und darauf hoffen, dass Vater bald zurückkehrt.«
    Â»Wieso weißt du so viel darüber?«, fragte Maya, verwirrt von Mikis schlechter Laune. »Bist du etwa auch ein Herr der Geister?«
    Â»Nein, natürlich nicht!«, schrie Miki. »Ich weiß nicht einmal, was das ist. Ich hatte nie davon gehört, bis du mir erzählt hast, Hisao sei einer.«
    Sie stiegen einen steilen Hang hinab. Der Pfad verlief zwischen großen Felsbrocken. Offensichtlich sonnten sich hier gern Schlangen, und als die sehnigen Tiere unter den Felsen abtauchten, lief Maya ein Schauder über den Rücken. Sie erinnerte sich an all die Geistergeschichten, die sie gehört hatte, und sie dachte an Akanes Geist und daran, wie sie Sunaomi mit der toten Kurtisane aufgezogen hatte, ohne selbst daran zu glauben.
    Â»Was will Yuki deiner Meinung nach wirklich?«, fragte sie.
    Â»Alle Geister sinnen auf Rache«, antwortete Miki. »Sie will sich rächen.«
    Â»An Akio?«
    Â»An allen, die ihr wehgetan haben.«
    Â»Siehst du? Du weißt doch über alles Bescheid«, sagte Maya.
    Â»Warum führt sie uns nach Hagi?«, fragte Miki.
    Â»Damit wir Vater treffen. Das hat sie doch gesagt.«
    Â»Aber Vater wird den ganzen Sommer weg sein«, fuhr Miki fort, als diskutierte sie mit sich selbst.
    So wanderten sie weiter, bis der Mond sich rundete und wieder abnahm. Die Sommersonnenwende rückte näher. Yuki traf die beiden Mädchen jeden Abend. Sie gewöhnten sich an sie, und ohne es zu bemerken, begannen sie sie zu lieben, als wäre sie ihre Mutter. Sie blieb nur zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang bei ihnen, aber die Tagesmärsche kamen ihnen auf einmal leichter vor, weil sie wussten, dass Yuki am Ende auf sie wartete. Ihre Wünsche wurden die der Mädchen. Sie erzählte ihnen jeden Abend Geschichten aus ihrem Leben: über ihre Kindheit beim Stamm, die der ihren so ähnlich war, und von ihrer ersten großen Trauer, ausgelöst durch den Tod ihrer Freundin aus Yamagata, die mitsamt ihrer Familie in jener Nacht verbrannt war, als Otori Takeshi von den Tohankriegern ermordet worden war. Davon, wie sie Lord Shigerus Schwert, Jato, geholt und Takeo übergeben hatte, bevor sie Shigeru gemeinsam ausdem Schloss von Inuyama gerettet hatten, und wie Yuki den Kopf des Lords nach Terayama zurückgebracht hatte, allein und quer durch Feindesland. Die Mädchen bewunderten zutiefst ihren Mut und ihre Treue, waren zornig und schockiert über ihren grausamen Tod und voller Trauer und Mitleid für ihren Sohn.

KAPITEL 49

    Die Mädchen erreichten Hagi an einem späten Nachmittag unmittelbar vor der

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