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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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unsichtbar unter dem Strohdach hockte. Shizuka war selten zornig. »Genießt diese Spiele«, sagte sie. »Nichts wird je spannender sein.«
    Â»Du hast so ein Glück gehabt, Shizuka. Du hast den Fall von Inuyama miterlebt! Du hast gemeinsam mit Vater im Krieg gekämpft!«
    Â»Wir werden nie richtig kämpfen, denn Vater sagt, in den Drei Ländern gebe es nie wieder Krieg.«
    Â»Beten wir darum, dass es keinen Krieg mehr gibt«, sagte Shigeko. Beide Zwillinge stöhnten auf.
    Â»Betet wie eure Schwester darum, von einem richtigen Krieg verschont zu bleiben«, sagte Shizuka warnend.
    An diesem Nachmittag griff Maya das Thema wieder auf. »Aber wenn es keinen Krieg mehr geben soll, warum bestehen Vater und Mutter dann darauf, dass wir das Kämpfen lernen?«, fragte sie, denn wie alle Kinder der Kriegerklasse lernten auch die drei Mädchen von Shizuka, Sugita Hiroshi und anderen berühmten Kriegern der Drei Länder, mit Bogen und Schwert und Pferd umzugehen.
    Â»Lord Hiroshi meint, die Vorbereitung auf den Krieg sei der beste Weg, ihn zu verhindern«, antwortete Shigeko.
    Â»Lord Hiroshi«, flüsterte Miki und stupste Maya mit dem Ellbogen. Beide Zwillinge kicherten.
    Shigeko errötete. »Was ist los?«, wollte sie wissen.
    Â»Du erzählst uns immer, was Lord Hiroshi sagt, und dann wirst du knallrot.«
    Â»Das ist mir neu«, sagte Shigeko und verbarg die Tatsache, wie peinlich ihr dies war, hinter einer formellen Sprache. »Aber das hat nichts zu bedeuten. Hiroshi ist einer unserer Lehrer – und ein sehr weiser. Dass ich seine Lehrsätze verinnerlicht habe, ist da nur natürlich.«
    Â»Lord Miyoshi Gemba ist auch einer deiner Lehrer«, sagte Miki. »Aber du zitierst ihn fast nie.«
    Â»Und er lässt dich nicht erröten!«, fügte Maya hinzu.
    Â»Ich glaube, ihr könntet noch etwas Übung im Schreiben gebrauchen, Schwestern. Ich glaube tatsächlich, dass ihr noch viel mehr üben müsst. Nehmt den Pinsel zur Hand!« Shigeko zog eine andere Schriftrolle auseinander und begann zu diktieren. Es handelte sich um eine der alten Chroniken der Drei Länder, gespickt mitschwierigen Namen und obskuren Ereignissen. Shigeko hatte die Geschichte von Anfang an lernen müssen und die Zwillinge würden sie auch lernen müssen. Da konnten sie ebenso gut gleich damit beginnen. Das wäre die gerechte Strafe dafür, dass sie sie mit Hiroshi aufgezogen hatten, und würde sie hoffentlich davon abhalten, ihn noch einmal zu erwähnen. Shigeko beschloss, von nun an vorsichtiger zu sein und sich nicht mehr die dumme Freude zu machen, seinen Namen zu sagen, ihn nicht mehr ständig anzuschauen, vor allem aber, nicht mehr zu erröten. Zum Glück hielt er sich gerade nicht in Hagi auf, sondern war nach Maruyama zurückgekehrt, um die Ernte zu überwachen und die Zeremonie vorzubereiten, mit der ihr die Domäne übergeben werden sollte.
    Er schrieb oft, denn er war der oberste Verwalter, und ihre Eltern erwarteten von ihr, dass sie bis ins Letzte über ihre Ländereien informiert war. Natürlich waren es offizielle Briefe, doch sie betrachtete gern seine Handschrift, die die eines Kriegers war, ausdrucksvoll und ansehnlich, und außerdem erzählte er jedes Mal von Menschen, die ihr aus irgendeinem Grund besonders wichtig waren. Doch vor allem berichtete er von den Pferden. Er beschrieb jedes neugeborene Fohlen, informierte sie darüber, wie es sich entwickelte und welche Fortschritte die jungen Pferde machten, die er gemeinsam mit ihr zugeritten hatte. Sie diskutierten über Stammbäume und Zucht und waren dabei immer auf der Suche nach einem größeren, kräftigeren Pferd. Schon jetzt waren die Pferde von Maruyama eine Handbreit größer als vor zwanzig Jahren in Hiroshis Kindertagen.
    Sie vermisste ihn und sehnte sich nach einem Wiedersehen. Sie konnte sich an keine Zeit erinnern, in der sie ihn nicht geliebt hätte. Für sie war er wie ein Bruder gewesen, der im Haushalt der Otori gelebt und als Sohn der Familie gegolten hatte. Er hatte sie das Reiten gelehrt, den Umgang mit Bogen und Schwert. Er hatte sie in Kriegskunst, Strategie und Taktik und auch in der Regierungskunst unterrichtet. Ihr größter Wunsch war, ihn zu heiraten, doch dieser Wunsch würde sich wohl nicht erfüllen. Im besten Fall konnte er ihr wertvollster Berater sein, vielleicht sogar ihr treuester und

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