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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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Augen leuchteten auf. »Hoffentlich bin ich dafür geeignet«, sagte der Junge halblaut.
    Â»Meine älteste Tochter wird dir mehr darüber erzählen, wenn wir in Hagi ankommen.«
    Takeo ertrug es kaum, den Namen der Stadt auszusprechen, so groß war seine Sehnsucht, endlich dort und damit auch bei Kaede zu sein. Doch er verbarg diese Gefühle, genau wie er den ganzen Tag Trauer und Schmerz verborgen hatte. Am Tor des Tempels wurden sie überrascht und erfreut begrüßt und man schickte einen Mönch los, um Matsuda Shingen und Makoto über ihre Ankunft in Kenntnis zu setzen. Man begleitete sie zumGästehaus. Dort blieben Sunaomi und die Männer zurück, und Takeo ging durch den Garten, vorbei an den Fischteichen, in denen sich rote und goldene Karpfen tummelten, bis zum heiligen Hain hinter dem Tempel und von dort den steilen Berg hinauf zur Begräbnisstätte der Otorilords.
    Dort war der Nebel dichter, er hüllte die grauen Laternen und Grabsteine ein, dunkel von Feuchtigkeit und gesprenkelt mit grünen und weißen Flechten. Moos, das von dunklerem Grün war, bedeckte ihre Sockel. Shigerus Grab war von einem neuen, glänzenden Strohseil umgeben, und davor standen viele Pilger, den Kopf gesenkt, und beteten zu dem Mann, der inzwischen ein Held und eine Avatara war, der gute Geist des Mittleren Landes und des Otoriclans.
    Die meisten waren Bauern, wie Takeo dachte, vielleicht waren auch zwei oder drei Kaufleute aus Yamagata darunter. Als sie ihn kommen sahen, erkannten sie ihn sofort am Wappen auf seinen Gewändern und an seinem schwarzen Handschuh. Sie fielen auf die Knie, doch er begrüßte sie, forderte sie auf, sich wieder zu erheben, und bat sie dann, ihn am Grab allein zu lassen. Er ließ sich selbst auf die Knie nieder und betrachtete die Opfergaben, eine Handvoll scharlachroter Blumen, Reiskuchen, kleine Krüge mit Wein.
    Die Vergangenheit umgab ihn mit all ihren schmerzhaften Erinnerungen und Pflichten. Er schuldete Shigeru sein Leben und er hatte es dem Willen des Toten gemäß gelebt. Sein Gesicht war nass von Nebel und Tränen.
    Hinter ihm bewegte sich etwas, und als er sich umdrehte, sah er Makoto auf sich zukommen, in der einen Hand eine Lampe, in der anderen einen kleinen Weihrauchhalter. Makoto kniete nieder und stellte beides vor das Grab. Der graue Rauch stieg auf, langsam und schwer, und vermischte sich mit dem Nebel, würzte die Luft. Die Lampe brannte ruhig, und da der Tag so trübe war, strahlte ihr Licht umso heller.
    Die beiden schwiegen lange. Dann schlug im Hof des Tempels eine Glocke und Makoto sagte: »Komm und iss. Du bist bestimmt hungrig. Es ist so schön, dich zu sehen.«
    Beide erhoben sich und betrachteten einander. Ihre erste Begegnung hatte genau hier stattgefunden, vor siebzehn Jahren, sie hatten einander sofort gemocht und waren dann für kurze Zeit auf die Art leidenschaftlicher, junger Männer Liebende gewesen. Makoto hatte an Takeos Seite in den Schlachten von Asagawa und Kusahara gefochten und war viele Jahre sein engster Freund gewesen. Nun zeigte sich wieder einmal seine rasche Auffassungsgabe, denn er fragte: »Was ist geschehen?«
    Â»Ich sage es dir in aller Kürze: Muto Kenji ist tot. Er ist zu Verhandlungen zu den Kikuta gereist und nicht zurückgekommen. Ich reite nach Hagi, um meiner Familie davon zu berichten. Deshalb kehren wir schon morgen nach Yamagata zurück.«
    Â»Sein Tod betrübt mich sehr. Kenji ist über viele Jahre ein treuer Freund gewesen. Ich kann verstehen, dass du in einer solchen Zeit bei Lady Otori sein möchtest. Aber musst du so schnell wieder aufbrechen? Vergibmir, aber du siehst furchtbar aus. Bleib ein paar Tage hier, um wieder zu Kräften zu kommen.«
    Takeo lächelte. Der Vorschlag reizte ihn und er beneidete Makoto, der körperlich und seelisch vollkommen gesund wirkte. Er war inzwischen Mitte dreißig, doch sein Gesicht war faltenlos, seine Miene ruhig. Aus seinem Blick sprachen Herzlichkeit und leise Freude. Seine ganze Erscheinung strahlte Würde und Selbstbeherrschung aus. Takeo wusste, sein anderer alter Freund, Miyoshi Gemba, sah genauso aus, wie alle, die dem Weg des Houou folgten. Er bedauerte ein wenig, dass der Weg, dem er zu folgen hatte, so anders war. Wie immer, wenn er Terayama besuchte, stellte er sich vor, wie es wäre, sich hierher zurückzuziehen, sich wie der große Künstler Sesshu der Malerei und

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