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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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im Auge, sorge dafür, dass Chikara mit Ishida aufbricht, undvielleicht bekomme ich mehr über die wahren Absichten meines Bruders und seiner Frau heraus.«
    Bevor sie auseinandergingen, sagte Taku: »Ein Gedanke noch. Wenn Sie Sunaomi adoptieren und er Ihr Sohn wird …«
    Â»Dann werde ich endgültig beschließen, nicht mehr an die Prophezeiung zu glauben!«, erwiderte Takeo unbeschwerter, als ihm tatsächlich zu Mute war.

KAPITEL 12

    Takeo brach um die Stunde der Schlange auf. Anfangs war es trocken, doch gegen Abend begann es heftig zu regnen. Sunaomi war gefasst und eifrig darauf bedacht, alles richtig zu machen und tapfer zu sein, obwohl man ihm ansah, dass ihn der Abschied von Eltern und Familie belastete. Er hatte zwei Gefolgsleute Zenkos dabei, die sich um ihn kümmerten, und Takeo wurde von Jun und Shin, einer zwanzigköpfigen Kriegerschar sowie von Minoru begleitet. Die erste Nacht verbrachten sie in einem kleinen Dorf, in dem in den Jahren des Wohlstands mehrere Herbergen entstanden waren, da die Kaufleute regelmäßig mit ihren Waren zwischen Hagi und Hofu pendelten. Die Straße war in gutem Zustand und auf ganzer Strecke entweder mit Kies bestreut oder gepflastert. Jede kleinere Stadt war bewacht und man konnte schnell und sicher reisen. Trotz des Regens erreichten sie am Abend des dritten Tages den Zusammenfluss der Flüsse, wo sie von Miyoshi Kahei erwartet wurden, der von Boten Nachricht erhalten hatte, dass Lord Otori nach Norden reiste.
    Kahei war für seine Treue zu Takeo mit der Stadt Yamagata und den umliegenden Ländereien belohnt worden, dem üppigen Wald, der das Herz des Mittleren Landes bildete, und dem fruchtbaren Ackerland zu beiden Seiten des Flusses. Yamagata war nach der Niederlage der Otori bei Yaegahara an die Tohan gefallen und seine Rückgabe an das Mittlere Land war lange und ausgiebig gefeiert worden. Die Miyoshi waren eine der größten Kriegerfamilien des Otoriclans und Kahei war ein beliebter und fähiger Herrscher. Außerdem war er ein sehr begabter Feldherr und ein Experte für Strategie und Taktik, der, wie Takeo dachte, die Jahre des Friedens insgeheim bedauerte und sich nach einer neuen Auseinandersetzung sehnte, in der er seine Theorien sowie Stärke und Geschick seiner Männer auf die Probe stellen konnte. Sein Bruder, Gemba, hatte mehr für Takeos Wunsch übrig, die Gewalt zu beenden, war ein Jünger Kubo Makotos geworden und folgte dem Weg des Houou.
    Â»Willst du nach Terayama?«, fragte Kahei, nachdem sie Grüße ausgetauscht hatten und Seite an Seite nach Norden zur Stadt ritten.
    Â»Ich bin noch unschlüssig«, antwortete Takeo. »Ich möchte natürlich sehr gern, aber ich will auch so schnell wie möglich nach Hagi.«
    Â»Soll ich eine Nachricht zum Tempel schicken, damit sie ins Schloss kommen?«
    Takeo musste sich für eines von beidem entscheiden, weil er sonst seine ältesten Freunde beleidigte. Kahei hatte mehrere lebhafte Kinder, die nicht besonders viel Ehrfurcht vor ihrem mächtigen Vater zu haben schienen, und abends, als Sunaomi in der Atmosphäre liebevoller Neckerei allmählich auftaute, kam Takeo plötzlich der Gedanke, dass es dem Jungen nicht schaden könnte,wenn er den heiligsten Ort der Otori besuchte, die Gräber von Shigeru, Takeshi und Ichiro sähe und Makoto und die anderen Krieger von großer spiritueller Reife träfe, die den Tempel zu ihrem Zuhause und Lebensmittelpunkt gemacht hatten. Sunaomi wirkte sowohl klug als auch sensibel, und vielleicht war der Weg des Houou eine genauso passende Erziehung für ihn wie für Shigeko. Er spürte, wie sich plötzlich eine Neugier in ihm regte: Wie wunderbar wäre es doch, einen Sohn zu haben, den er auf diese Weise großziehen und ausbilden konnte. Die Stärke des Gefühls überraschte ihn. Man verabredete, früh am nächsten Morgen aufzubrechen. Minoru sollte in Yamagata bleiben, um Details der Regierungsarbeit zu überprüfen und die für die laufenden Gerichtsverfahren notwendigen Beweisakten vorzubereiten.
    Der Regen war zu Nebel geworden. Das Antlitz der Erde war in Grau gehüllt. Der Himmel über den Bergen hatte die Farbe von Blei und über die Hänge trieben wie Banner perlweiße Wolkenfetzen. Es tropfte von den Zedern, auf deren Stämmen der Regen dunkle Streifen hinterlassen hatte. Der nasse Boden dämpfte die Huftritte. Sie ritten

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