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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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was du tust, geschieht in Eile.«
    Â»Weil ich weiß, dass mein Leben kurz ist. Ich habe so wenig Zeit, um das zu erreichen, was ich erreichen muss.«
    Beim Einschlafen dachte er daran, dass er immer gehandelt hatte wie ein Getriebener, und dann träumte er von der Nacht, als er in Yamagata an der Schlossmauer hochgeklettert war, um dem Leiden der gefolterten Verborgenen ein Ende zu setzen. In seinem Traum bewegte er sich wieder mit der unendlichen Geduld des Stammes durch eine Nacht, die nicht enden zu wollen schien. Kenji hatte ihn gelehrt, die Zeit kraft seines eigenen Willens langsam oder schnell vergehen zu lassen. In seinem Traum sah er, wie sich die Welt entsprechend seiner Wahrnehmung änderte, und er erwachte in dem Gefühl, knapp die Enthüllung eines Geheimnisses verpasst zu haben, war jedoch bester Laune und wundersamerweise immer noch schmerzfrei.
    Es war noch nicht richtig hell. Takeo hörte keinen Regen, sondern nur die Vögel, die zu zwitschern begannen, und die von den Dachtraufen fallenden Tropfen. Sunaomi saß auf seiner Matratze und starrte ihn an.
    Â»Onkel? Sind Sie wach? Können wir zu den Houou gehen?«
    Die Araigefolgsleute hatten draußen die ganze Nacht gewacht, obwohl Takeo ihnen versichert hatte, es bestehe keine Gefahr. Nun sprangen sie auf die Beine, halfenihrem jungen Lord, die Sandalen anzuziehen, und folgten ihm, als Takeo ihn zum Haupttor führte. Dieses war bei Anbruch der Dämmerung aufgesperrt worden und unbewacht, da die Wachtposten beim Frühstück waren. Sie traten hindurch, bogen nach rechts ab und folgten dem schmalen Pfad, der sich an der Außenmauer des Tempelgeländes entlangschlängelte und dann den steilen Berghang hinaufführte.
    Der Boden war uneben und steinig und an vielen Stellen glitschig vom Regen. Nach einer Weile hob einer der Männer Sunaomi hoch und trug ihn. Der Himmel war von einem klaren, blassen Blau, die Sonne ging gerade im Osten über den Bergen auf. Der Pfad wurde ebener und führte durch einen Wald von Buchen und Eichen. Der Boden war von wilden Sommerblumen übersät, Grasmücken zwitscherten ihr Morgenlied und antworteten einander. Später würde es heiß werden, aber im Augenblick war die Luft genau richtig, still und kühl vom Regen.
    Takeo konnte das Rascheln im Laub und das Rauschen von Flügeln hören, das darauf hindeutete, dass sich im vor ihnen liegenden Wald die Houou aufhielten. Dort gab es zwischen den breitblättrigen Bäumen eine Stelle mit Paulownien, in denen die Vögel am liebsten nisteten und brüteten, obwohl sie angeblich Bambusblätter fraßen.
    Das Gehen war leichter und Sunaomi wollte abgesetzt werden. Zu Takeos Überraschung befahl er den beiden Männern zu warten, während er mit Lord Otori weiterging.
    Sobald sie außer Hörweite waren, vertraute er Takeo an: »Ich finde, Tanaka und Suzuki sollten die Houou besser nicht sehen. Sie würden sie womöglich jagen oder ihnen die Eier stehlen. Ich habe gehört, dass das Ei eines Houou sehr wertvoll ist.«
    Â»Da hast du vermutlich den richtigen Instinkt«, erwiderte Takeo.
    Â»Sie sind anders als Lord Gemba und Lord Makoto«, sagte Sunaomi. »Ich weiß nicht genau, wie ich es sagen soll – sie werden zwar sehen, aber nichts begreifen.«
    Â»Das hast du sehr gut ausgedrückt«, erwiderte Takeo lächelnd.
    Im Laub über ihnen ertönte ein seltsam flötender Ruf, der von einem harschen Schrei beantwortet wurde.
    Â»Da sind sie«, flüsterte Takeo, den angesichts der Gegenwart der heiligen Vögel wie immer Erstaunen und Ehrfurcht erfüllten. Ihr Ruf glich ihrer äußeren Erscheinung, die schön und befremdlich, anmutig und unbeholfen zugleich war. Die Vögel waren sowohl wundersam als auch irgendwie komisch. Er würde sich nie an ihren Anblick gewöhnen.
    Sunaomi starrte völlig gebannt nach oben. Dann brach ein Vogel aus dem Laub und flatterte auf den benachbarten Baum.
    Â»Das ist ein Männchen«, sagte Takeo. »Da kommt auch das Weibchen.«
    Sunaomi lachte vor Freude, als der zweite Vogel über die Lichtung glitt. Seine Schwanzfedern waren lang und seidig, die Augen von hellem Gold. Sein Gefieder warsehr bunt, und als er auf dem Ast landete, trudelte eine Feder zu Boden.
    Die Vögel blieben nur für einen kurzen Augenblick. Sie wandten einander die Köpfe zu, riefen noch einmal, ein jeder mit seiner eigenen,

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