Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers
unverkennbaren Stimme, schauten kurz, aber eindringlich zu Takeo und flogen dann in den Wald.
»Ah!«, keuchte Sunaomi und rannte hinter ihnen her, den Blick nach oben gerichtet, weshalb er stolperte und der Länge nach ins Gras fiel. Als er aufstand, hielt er die Feder in der Hand.
»Schauen Sie, Onkel!«
Takeo ging zu dem Jungen und betrachtete die Feder. Einmal hatte Matsuda ihm eine Hououfeder gezeigt, weià geriffelt und mit roter Spitze. Sie stammte von einem Vogel, den Shigeru als Junge gesehen hatte, und war seitdem im Tempel aufbewahrt worden. Diese Feder war von dunklem Gold, nur der Schaft war weiÃ.
»Behalte sie«, sagte er zu Sunaomi. »Sie wird dich daran erinnern, dass du an diesem Tag gesegnet wurdest. Genau darum versuchen wir ja, den Frieden zu bewahren: damit die Houou die Drei Länder niemals verlassen.«
»Ich werde die Feder dem Tempel schenken«, sagte Sunaomi, »als Unterpfand dafür, dass ich eines Tages zurückkehren und bei Lord Gemba lernen werde.«
Der Junge hat ein so feines Gespür , dachte Takeo. Ich werde ihn wie meinen Sohn erziehen.
KAPITEL 13
Nachdem Takeo mit Sunaomi aufgebrochen war, saà Taku eine Weile auf der Veranda, betrachtete den regennassen Garten und dachte über all das nach, was der Cousin seiner Mutter ihm erzählt hatte. Es hatte ihn stärker erschüttert, als er hatte zeigen mögen, weil es zu einem offenen Konflikt mit seinem älteren Bruder führen konnte, und genau dies hatte er vermeiden wollen. Zenko ist so ein Narr , dachte er, und er ist immer einer gewesen. Genau wie unser Vater!
Im Alter von zehn Jahren, in den Augenblicken, bevor das Erdbeben die Stadt zerstört hatte, war er Zeuge des Verrats seines Vaters an Takeo geworden. Zenko hatte Takeo die Schuld an Arais Tod gegeben, aber Taku hatte die Szene ganz anders gedeutet. Er wusste bereits, dass sein Vater in einem Wutanfall den Tod ihrer Mutter befohlen hatte, und er würde ihm niemals die Bereitwilligkeit vergeben, mit der er das Leben seiner Söhne geopfert hätte. Er hatte geglaubt, Takeo würde Zenko töten â und hatte danach oft geträumt, dass genau dies geschehen war â, und konnte nicht begreifen, warum Zenko einen Groll gegen Takeo hegte, offenbar gerade weil dieser sein Leben verschont hatte.
Als Junge hatte er Takeo wie einen Helden verehrtund nun, als Mann, achtete und bewunderte er ihn. AuÃerdem hatte die Mutofamilie den Otori die Treue geschworen, und diesen Schwur würde er niemals brechen. Einmal abgesehen von den Verpflichtungen, die Ehre und Treue mit sich brachten, müsste er so dumm sein wie Zenko, denn seine Stellung in den Drei Ländern entsprach genau seinen Wünschen, verlieh ihm Macht und ermöglichte ihm den Einsatz all seiner Fähigkeiten.
AuÃerdem hatte ihm Takeo vieles beigebracht, was dieser bei den Kikuta gelernt hatte. Taku musste lächeln, als er daran dachte, wie oft er dem Kikutaschlaf erlegen war, bis er endlich gelernt hatte, diesen abzuwehren â und ihn selbst einzusetzen. Zwischen Takeo und ihm bestand ein festes Band. Sie glichen einander in vieler Hinsicht und kannten beide die Konflikte, die gemischtes Blut mit sich brachte.
Trotzdem blieb ein älterer Bruder ein älterer Bruder und Taku war dazu erzogen worden, die Hierarchie des Stammes zu achten. Er mochte dazu bereit sein, Zenko zu töten, wie er Takeo gesagt hatte, würde seinen Bruder aber bestimmt nicht beleidigen, indem er dessen Recht auf Mitsprache bei der Wahl eines neuen Oberhauptes der Mutofamilie überging. Er beschloss, seine Mutter vorzuschlagen, Shizuka, Kenjis Nichte. Das wäre ein annehmbarer Kompromiss.
Der Gatte seiner Mutter, Dr. Ishida, würde Zenkos jüngeren Sohn nach Hagi bringen. Er konnte Shizuka Briefe oder mündliche Botschaften übermitteln. Taku hielt Ishida für ausreichend vertrauenswürdig. Seine gröÃte Schwäche war eine gewisse Naivität, die verhinderte, dass er wirklich begriff, zu welcher Bosheit die menschliche Natur im Stande war. Vielleicht hatte Ishida sich angewöhnt, die Augen vor der Bosheit von Lord Fujiwara zu verschlieÃen, dem er so viele Jahre gedient hatte, und vielleicht hatte es ihn genau deshalb so stark erschüttert, als diese Bosheit plötzlich zum Vorschein gekommen war. Auch wenn seine Expeditionen Mut erforderten, war er in körperlicher Hinsicht nicht sehr tapfer und scheute den
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