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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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bauschige Hosen und hohe Lederstiefel, an Hals und Brust glänzte Gold. Einer hatte ein dunkelhäutiges, halb von einem schwarzen Bart verhülltes Gesicht, der andere war hellhäutiger und Haar und Bart waren von blassem Rostrot. Seine Augen waren ebenfalls blass und so grün wie grüner Tee. Beim Anblick des Haares und der hellen Augen ging ein Beben durch die Menge, und Shigeko hörte die Leute flüstern: »Sind das etwa Ungeheuer?« – »Geister.« – »Kobolde.«
    Hinter ihnen kam eine kleine Frau, die die beiden Männer auf die erforderlichen Höflichkeiten hinzuweisen schien. Sie flüsterte etwas, woraufhin sich beide auf eine merkwürdig prahlerische Art verneigten und dann etwas in ihrer rauen Sprache sagten.
    Ihr Vater begrüßte sie mit einer leichten Kopfbewegung. Er lachte nicht mehr. Im feierlichen, mit dem Reiher bestickten Gewand und mit seinem schwarzen Lackhut wirkte er ernst und prunkvoll, und seine Miene war gefasst und ausdruckslos. Die Fremden mochten größer und kräftiger gebaut sein, aber Shigeko fand, dass Lord Otori viel beeindruckender war.
    Die Frau fiel vor ihm zu Boden, er jedoch bedeutete ihr, im Stehen mit ihm zu reden. Das war großherzig, wie Shigeko dachte.
    Sie hielt noch die Seidenkordel, die mit dem Halsband des Kirin verbunden war, und ihre ganze Aufmerksamkeit galt dem wundersamen Geschöpf. Doch als ihr Vater ein paar Grußworte an die Fremden gerichtet hatte und die Frau diese übersetzte und im Anschluss antwortete, meinte Shigeko einen ungewöhnlichen Klang in der Stimme zu hören. Sie betrachtete die Frau, deren Blick auf Takeos Gesicht geheftet war. Sie kennt Vater , dachte Shigeko. Sie wagt es, ihm in die Augen zu schauen. In diesem Blick lag eine an Anmaßung grenzende Vertrautheit, die Shigeko beunruhigte und sie auf der Hut sein ließ.
    Dann wurde die Menschenmenge am Anleger mit der schwierigen Entscheidung konfrontiert, ob man dem außergewöhnlichen Kirin folgen solle, das von Ishida und Shigeko zum Schrein geführt wurde, wo man es Mori Hiroki und dem Flussgott vorführen wollte und ihm später ein Gehege errichten würde, oder den genauso außergewöhnlichen Fremden, die mit einer ganzen Reihe von Dienern, beladen mit zahlreichen Kisten und Ballen, von Shizuka zu dem winzigen Boot geführt wurden, das sie zu ihrer Unterkunft beim Tempel von Tokoji am anderen Flussufer bringen sollte.
    Zum Glück hatte die Stadt Hagi viele Einwohner, und als sich die Menschenmenge in zwei fast gleich große Hälften teilte, waren beide Prozessionen von recht ansehnlicher Größe. Die Fremden ärgerte dies mehr als das Kirin: Offenbar erzürnte es sie, ständig angestarrt zu werden, und die Tatsache, dass ihre Unterkunft weit vom Schloss entfernt war, sie dort bewachtwurden und in vieler Hinsicht – wenn auch zu ihrer eigenen Sicherheit – eingeschränkt waren, erzürnte sie noch mehr. Das Kirin ging wie immer mit bedachten, anmutigen Schritten, nahm alles wahr, ließ sich durch nichts beunruhigen und war von unerschöpflicher Sanftmut.
    Â»Ich liebe es jetzt schon«, sagte Shigeko zu ihrem Vater, als sie sich dem Schrein näherten. »Wie kann ich dir jemals dafür danken?«
    Â»Danken musst du Ishida«, erwiderte Takeo. »Er hat es uns geschenkt und es ist ein großes Geschenk, denn er hat das Tier genauso lieb gewonnen wie du und kennt es schon lange. Er wird dir zeigen, wie man es versorgt.«
    Â»Wie wunderbar, ein solches Tier in Hagi zu haben«, rief Mori Hiroki beim Anblick des Kirin. »Wie gesegnet die Drei Länder doch sind!«
    Das dachte auch Shigeko. Selbst Tenba schien vom Kirin fasziniert zu sein, denn er rannte zum Bambuszaun, um es zu betrachten und mit seinen Nüstern sanft gegen die des großen Tieres zu stupsen. Traurig war nur der Aufbruch von Hiroshi. Doch als Shigeko sich an den Vorfall vom Vormittag erinnerte, dachte sie, dass es vielleicht das Beste war, wenn er abreiste.

KAPITEL 19

    Als Takeo nach der Begrüßung des Kirin in die Residenz zurückkehrte, ging er sofort zu Kaede, weil er sich Sorgen um ihre Gesundheit machte. Doch sie schien sich erholt zu haben, saß auf der Nordseite des Hauses auf der Veranda, weil der Seewind dort für etwas Kühle sorgte, und unterhielt sich mit Taro, dem ältesten Sohn des Zimmermanns Shiro, der mit seinem Vater nach Hagi zurückgekehrt war,

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