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Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers

Titel: Der Clan der Otori – Der Ruf des Reihers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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Schulter und wurde dadurch noch ängstlicher. Shigeko wäre um ein Haar gestürzt, aber Hiroshi schob sich irgendwie zwischen sie und das Pferd, und für einen kurzen Moment spürte sie seine Kraft und sehnte sich mit einer Intensität danach, von ihm im Arm gehalten zu werden, die sie selbst erschreckte. Das Füllen sprang langbeinig davon und schleifte den Zügel hinter sich her. Hiroshi sagte: »Geht es Ihnen gut? Hat er Sie mit einem Huf erwischt?«
    Shigeko, überwältigt von Gefühlen, schüttelte den Kopf. Sie standen nahe beieinander, ohne einander zu berühren. Sie fand ihre Stimme wieder.
    Â»Ich glaube, für heute haben wir genug getan. Wir beruhigen ihn noch und dann muss ich nach Hause, um mich darauf vorzubereiten, mein Geschenk in Empfang zu nehmen. Vater will es mir bestimmt bei einer Zeremonie überreichen.«
    Â»Natürlich, Lady Shigeko«, erwiderte Hiroshi, nun wieder distanziert und förmlich. Das Fohlen ließ ihn an sich heran und er brachte es Shigeko zurück. Ein leichter Wind ging und über ihnen flogen die Tauben, aber diesmal trottete das junge Pferd ruhig und mit gesenktem Kopf zwischen ihnen. Sie sprachen beide kein Wort.
    Unten am Anleger war nach der frühmorgendlichen Hektik Stille eingekehrt. Fischer ruhten sich aus, nachdem sie ihren nächtlichen Fang gelöscht hatten, silberne Sardinen und schimmernde Makrelen mit blauen Schuppen. Kaufleute, die ihre breiten Dschunken mit Säcken voll Salz und Reis und mit Seidenballen beluden, hielten bei der Arbeit inne, und auf dem Kopfsteinpflaster versammelte sich eine Menschenmenge, um das Schiff aus Hofu mit seiner ungewöhnlichen Fracht zu begrüßen.
    Shigeko hatte gerade noch genug Zeit gehabt, um zur Residenz zurückzukehren und sich Kleider anzuziehen, die der Entgegennahme ihres Geschenkes, was immer es sein mochte, angemessener waren. Zum Glück war es nur ein kurzer Weg vom Schlosstor bis zur Hafentreppe – den Strand entlang und vorbei an dem kleinen Haus unter den Kiefern, in dem die berühmte Kurtisane Akane einst Lord Shigeru unterhalten hatte und vor dem noch die von ihr gepflanzten Büsche dufteten. Shizuka hatte auf sie gewartet, ihre Mutter, die sich nicht ganz wohl fühlte, blieb in der Residenz zurück. Takeo war mit Sunaomi schon vorgegangen. Nach kurzer Zeit hatten sie die beiden eingeholt und Shigeko bemerkte, wie aufgeregt ihr Vater war, denn er sah sie immer wieder lächelnd von der Seite an. Sie hoffte, dass ihre Reaktion ihn nicht enttäuschte, und beschloss, auf jeden Fall so zu tun, als wäre das Geschenk ihr innigster Wunsch, ganz egal, was es sein mochte.
    Doch als sich das Schiff dem Anleger näherte und das seltsame Tier deutlich zu sehen war – mit seinem langen Hals, den Ohren –, war Shigekos Erstaunen genauso groß und ungekünstelt wie das aller anderen Schaulustigen, und als Ishida das Geschöpf vorsichtig über die Planken führte und ihr übergab, war ihre Freude unbeschreiblich. Sie war bezaubert von seinem weichen und eigentümlich gemusterten Fell, von seinen dunklen und sanften Augen mit den langen, dichten Wimpern, von seinem anmutigen Gang und der Ruhe, mit der es die Szene beäugte, die sich ihm bot.
    Takeo lachte vor Freude, wegen des Kirin, aber auch über Shigekos Reaktion. Shizuka begrüßte ihren Mann mit stiller Zuneigung, und der kleine Junge, Chikara, eingeschüchtert vom Empfang und von der Menschenmenge, sah das Gesicht seines Bruders und versuchte krampfhaft, die Tränen zurückzuhalten.
    Â»Sei tapfer«, ermahnte ihn Ishida. »Begrüß deinen Onkel und deine Cousine, wie es sich gehört. Sunaomi, kümmere dich um deinen kleinen Bruder.«
    Â»Lord Otori«, brachte Chikara hervor, indem er sich tief verneigte. »Lady …«
    Â»Shigeko«, half sie ihm auf die Sprünge. »Willkommen in Hagi!«
    Ishida sagte zu Takeo: »Wir haben noch andere Passagiere dabei, die vielleicht nicht ganz so willkommen sind.«
    Â»Ja, Taku hat mich vorgewarnt. Ihre Frau wird sie zu ihrer Unterkunft führen. Ich erzähle Ihnen später, wie meine Pläne für sie aussehen. Ich hoffe, dass Sie mirin der Zwischenzeit dabei behilflich sind, sie zu unterhalten.«
    Die beiden Fremden – die ersten, die Hagi je betraten – erschienen an Deck und riefen genauso großes Erstaunen hervor wie das Kirin. Sie trugen seltsam

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