Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
sehen, wie hoch das Wasser bei Ãberschwemmungen im Frühling stieg. Er wurde von einer Holzbrücke überspannt, auf deren anderer Seite Shigeru das Gehölz um den Schrein sah, dessen Blättergewirr sich wie Flammen hinter dem stumpfen Grün des Flusses und den blassbraunen Stoppelfeldern ausnahm. Kleine weiÃe Statuen des Fuchsgottes schimmerten wie Eis zwischen den leuchtenden Blättern.
Wie versprochen wartete ein Reiter zwischen den Bäumen. Er hob grüÃend die Hand, wendete wortlos sein Pferd und kanterte fort vom Fluss und von der StraÃe nach Südwesten.
»Wer ist das?«, rief Takeshi, sein Pferd zerrte am Zaum und bockte in seinem Eifer, dem anderen zu folgen. Er hatte nichts über den wahren Zweck des Ausflugs erfahren.
»Einer, der uns hoffentlich die beste Gegend für die Beizjagd zeigen wird«, antwortete Shigeru und trieb Karasu voran.
Der Fremde führte sie in raschem Tempo über einen schmalen Weg, der schlieÃlich auf eine weite Ebene führte. Hier warfen die Pferde die Köpfe zurück, schnaubten und fingen an zu galoppieren, und ihre Reiter lieÃen sie über die gelbbraune Ebene rasen wie Schiffe, die vom Wind übers Meer gejagt werden.
Kaum ein Baum oder Fels unterbrach die glatte, gewellte Oberfläche der Ebene, der Wind peitschte ihnen Tränen in die Augen und verwischte, was sie sahen, doch als die Pferde langsamer wurden, bemerkte Shigeru die Gestalt weit in der Ferne, den einzelnen Reiter. Sie kamen näher, der Mann hob wieder die Hand, und als die Pferde, jetzt im Trab, sich ihm über einen Hang näherten, sah Shigeru hinter ihm eine kleine Gruppe Männer, die in einer leichten Vertiefung in der Ebene eine Art Lager aufgeschlagen hatten. Stoffwände auf drei Seiten boten Schutz vor dem Wind; Matten lagen auf dem Boden, von Kissen bedeckt. Auf beiden Seiten der Ãffnung flatterten lange Banner, die mit der Bärenpfote der Arai und der sinkenden Sonne der Seishuu geschmückt waren. Zwei Stühle standen bereit und auf einem saà ein junger Mann, der vermutlich Arai Daiichi war. Neben ihm auf dem Boden saà Danjo, Eijiros ältester Sohn.
Als Shigeru abstieg, stand Arai auf und nannte seinen Namen, dann sank er auf die Knie und verneigte sich bis zum Boden. Danjo tat das Gleiche. Sie erhoben sich und Arai sagte: »Lord Otori. Welch ein glücklicher Zufall bringt uns dieses Treffen!«
Seine Stimme klang warm, er hatte einen westlichen Akzent. Sein Alter lieà sich schwer schätzen, er war bereits ein stattlicher Mann, ein wenig gröÃer als Shigeru und wesentlich breiter. Mit kräftigen Zügen und glänzenden Augen strahlte er Energie und Kraft aus.
Shigeru dachte kurz an Muto Shizuka und fragte sich, wo sie jetzt sein mochte. Fast hatte er erwartet, sie hier zu sehen, weil sie und Arai sich so nah zu stehen schienen.
»Es ist sehr schön, dass Sie einem alten Freund wiederbegegnet sind«, entgegnete Shigeru, »und eine groÃe Freude für mich, dass ich Sie hier antreffe.«
»Die Beizjagd ist hervorragend um diese Jahreszeit. Ich komme im zehnten Monat häufig nach Kibi. Ich glaube, meine Gefährtin haben Sie schon kennengelernt?«
Shigeru drehte sich überrascht um und sah Shizuka von dem Pferd steigen, dem sie gefolgt waren. Er versuchte sein Erstaunen zu verbergen. Unglaublich, dass eine Person, die jetzt trotz der Reitkleidung so weiblich erschien, ihn dazu gebracht hatte, sie für einen Mann zu halten! In dem kurzen Moment des Absteigens hatte sich alles an ihr verändert â fast, hätte er geschworen, auch ihre GröÃe und Gestalt.
Arai lachte. »Sie haben nicht vermutet, dass sie es ist? Das macht sie meisterhaft. Manchmal erkenne selbst ich sie nicht.« Seine Blicke streichelten sie.
»Lord Otori.« Sie grüÃte Shigeru sittsam und verneigte sich respektvoll vor Kiyoshige und Takeshi, der vergeblich seine Bewunderung zu verbergen versuchte.
»Lady Muto«, sagte Shigeru förmlich und ehrte sie damit, denn es war ihm klar, dass Arai sie liebte und sie durch ihn eine einzigartige Stellung einnahm. Er fragte sich, ob sie ihn ebenso liebte, und war sich dessen sicher, nachdem er sie beobachtet hatte. Jäh durchfuhr ihn ein seltsames Gefühl, Neid vielleicht, weil er wusste, dass er sich eine solche Liebe nie erlauben durfte und nie erwarten konnte, so von einer Frau geliebt zu werden.
Arai war nach seiner
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