Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
sehenswert.«
»Ich glaube nicht, dass du je Gelegenheit dazu hast«, sagte Shigeru. Die jungenhafte Fröhlichkeit der beiden irritierte ihn. »Arai wird nie an unserer Seite kämpfen. Wir können höchstens hoffen, dass er nicht unser Feind wird.«
Seine Bedrückung wich auch nicht, als sie nach Yamagata zurückkamen und er Irie vom Ergebnis des Treffens erzählte.
»Ich kann die jahrelange Vernachlässigung nicht in ein paar kurzen Monaten wiedergutmachen«, schloss Shigeru seinen Bericht. »Wir haben alle unsere Möglichkeiten versäumt, während die Iida verhandelten, Ehenund Bündnisse schlossen. Wir sind von allen Seiten eingeschlossen. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass Sadamu einen baldigen Angriff vorbereitet. Ich hatte gehofft, uns dagegen zu stärken, aber vielleicht löse ich ihn nur aus. Werden wir je für einen Krieg gewappnet sein?«
»Wir müssen im Winter Männer und Waffen vorbereiten und eine Strategie entwickeln«, erwiderte Irie. »Die südlichen und östlichen Provinzen sind am verletzlichsten. Ich schlage vor, statt mit Ihnen nach Hagi zurückzugehen, suche ich Noguchi auf und erinnere ihn daran, dass es nötig ist, festzubleiben und den Einschüchterungen der Tohan nicht nachzugeben.«
»Und damit anzufangen, Männer auszubilden«, sagte Shigeru. »Sie müssen im Frühjahr an die Ostgrenze vordringen können.«
»Soll ich den Winter über dortbleiben und das überwachen?«
»Schicke Nachrichten, bevor der Schnee fällt, damit ich weiÃ, wie die Situation aussieht. Dann werde ich es entscheiden.«
Shigeru versank in Schweigen. SchlieÃlich sagte er: »Die meisten Sorgen machen mir die Spione. Ich spüre, dass Sadamu uns die ganze Zeit beobachtet und über alle Vorgänge, die mich betreffen, informiert wird. Was kann ich tun, um diesem Netz zu entkommen?«
»Achten Sie sehr darauf, mit wem Sie reden und wer noch anwesend ist«, antwortete Irie. »Dulden Sie nur Krieger um sich, die Sie kennen und denen Sie vertrauen. Suchen Sie Ihre Diener nur in Otorifamilien aus.«
»Leichter gesagt als getan«, entgegnete Shigeru, der an Muto Shizuka dachte.
KAPITEL 25Â
Am nächsten Tag brachen sie früh am Morgen zu ihrem Ritt nach Terayama auf. Das schöne Herbstwetter und die Aussicht, Matsuda Shingen zu sehen, hoben Shigerus Laune ein wenig, allerdings hatte er geringe Erwartungen an das Treffen mit Maruyama Naomi. Ihr Mann stammte von den Tohan, seine Tochter war mit Nariaki verheiratet, einem Cousin von Iida Sadamu. Naomi war nur ein Jahr oder so älter als Shigeru. Trotz allem, was man ihm über die Sitten und Denkweisen der Maruyama erzählte, bezweifelte Shigeru, dass sie wirklich die Macht hatte, sich den Wünschen ihres Mannes und denen seiner Familie zu widersetzen â die Iida Sadamus Wünsche waren.
Eigentlich hatte er immer weniger Lust, sie zu treffen, je länger er darüber nachdachte. In seine Ãngste mischte sich ein gewisser Zorn auf seine eigene Familie, seinen Vater, seine Onkel, die es zugelassen hatten, dass sich die Lage so entwickelt hatte. Er fragte sich, warum sie vor Jahren nicht selbst auf die Seishuu zugegangen waren, als er und Naomi noch Kinder waren. Sie waren fast gleich alt, sie hätten damals verlobt werden können. Und warum hatten die Seishuu nicht an den Otorierben gedacht, statt eine verbindliche Allianz mit den Tohan einzugehen? Hielten sie wie die meisten anderen Clans in den Drei Ländern die Otori für eine unbedeutendeMacht, einen absteigenden Clan, der dazu bestimmt war, jetzt von den Tohan ausgelöscht zu werden?
Als sie am Fuà des Berges ankamen, hatte er beschlossen, dass er die Frau nicht treffen wollte, er hoffte, dass sie gar nicht im Tempel war. Die Reise hatte ihn noch mehr verunsichert, obwohl er allen Grund dazu hatte, sich über den begeisterten Empfang unterwegs zu freuen. Sie waren langsamer vorangekommen, weil so viele Menschen ihn begrüÃen, mit ihm reden, Geschenke für ihn und seine Männer übergeben und Takeshi kennenlernen wollten.
»Du wirst lernen müssen, abweisender zu sein«, sagte Kiyoshige nach dem vierten oder fünften Halt, bei dem sie eine neue Landwirtschaftstechnik prüften oder über eine neue Steuer informiert wurden. »Sie werden dich noch bei lebendigem Leib auffressen. Du kannst nicht all diesen Leuten zur
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