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Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels

Titel: Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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sie sagte sich, sie müsse genießen, was sie hatte, ihr Glück sei groß im Vergleich zum Schicksal vieler. Zweifellos war es für ihn eine bequeme Situation, die ihm viel Vergnügen bei sehr geringen Mühen oder Schmerzen bereitete. Doch er war der Erbe des Clans, sie ein Niemand, noch nicht einmal eine Kriegertochter. Und war die Welt nicht für die Bequemlichkeit und das Vergnügen der Männer eingerichtet? Sie besuchte von Zeit zu Zeit Haruna, um sich daran zu erinnern. Haruna erwiderte ihre Besuche und brachte einmal Hayatos Witwe und deren Söhne mit, damit sie Akane danken konnten. Die Jungen waren intelligent und sahen gut aus. Akane hielt sie für liebevoll, wie es ihr Vater gewesen war. Sie interessierte sich für ihr Schicksal und schickte der Familie Geschenke. Sie hatte ihnen das Leben gerettet – sie wurden gewissermaßen ihre Kinder.
    Mindestens einmal in der Woche ging sie zur Steinbrücke, um Opfergaben für ihren Vater zu bringen und auf seine Stimme im eisigen Wasser zu horchen, wenn die Flut es durch die Bögen zog. An einem düsteren Nachmittag, als das Licht schnell verblasste, stieg sie aus ihrer Sänfte und ging zur Brückenmitte, ihre Dienerin folgte ihr mit einem roten Schirm, denn ein paar Schneeflocken fielen.
    Die Flut verhinderte, dass sich Eis auf der Flussoberfläche bildete, doch der Boden an den Ufern war hart gefroren und die Binsen steif von Frost und gefrorenem Schnee. Jemand hatte Winterorangen vor den Stein gelegt und sie waren ebenfalls hart gefroren in ihrem Bettaus verkrustetem Schnee, winzige Eispartikel glitzerten im letzten Licht auf ihrer kräftigen Farbe.
    Akane nahm der Dienerin einen Weinkrug ab und goss etwas daraus in eine Schale, tropfte ein wenig auf den Boden und trank den Rest selbst. Der Wind, der vom Fluss her aufwehte, ließ ihre Augen tränen und sie erlaubte sich, ein paar Momente zu weinen um ihren Vater und um sich in ihrer Gefangenschaft.
    Sie konnte sich das Bild vorstellen, das sie abgab: der rote Schirm, die schmerzgebeugte Frau. Sie wünschte sich, Shigeru würde sie so sehen, ohne dass sie von seinem Blick wusste.
    Während sie die Hände aneinanderlegte und sich vor dem Geist ihres Vaters verneigte, merkte sie, dass jemand sie von der anderen Seite der Brücke aus beobachtete. In den Straßen waren nur wenige Menschen, die vor der Nacht nach Hause eilten, die Köpfe vor dem Schnee gesenkt, der jetzt dichter fiel. Einer oder zwei schauten zu Akane hinüber und riefen einen respektvollen Gruß, doch keiner verweilte außer diesem einen Mann.
    Als sie zur Sänfte zurückkehrte, überquerte er die Straße und ging die letzten Schritte neben ihr. Sie blieb stehen und schaute ihn direkt an. Seinen Namen wusste sie nicht, doch sie erkannte in ihm einen Gefolgsmann von Masahiro. Sie spürte den plötzlich beschleunigten Pulsschlag in Kehle und Schläfe, während ihr Herz zu sinken schien.
    Â»Lady Akane«, sagte der Mann, »Lord Masahiro schickt Ihnen seine Grüße.«
    Â»Ich habe ihm nichts zu sagen«, antwortete sie hastig.
    Â»Er möchte Sie um etwas bitten. Er hat mich angewiesen, Ihnen das zu geben.« Der Mann zog aus seinem Ärmel ein kleines Päckchen, das in ein elfenbeinfarben und violett gefärbtes Tuch gewickelt war.
    Akane zögerte einen Augenblick, dann nahm sie es abrupt und gab es ihrer Dienerin. Der Mann verbeugte sich und ging davon.
    Â»Schnell nach Hause«, sagte Akane. »Es ist so kalt!« Sie fühlte sich eisig bis auf die Knochen.
    Als sie zu Hause ankamen, war es schon Nacht. Der Wind rauschte in den Kiefern und ein dumpfes Stöhnen kam von den Wellen am Strand. Plötzlich hatte Akane genug vom Winter, genug von dem unaufhörlichen Schnee und Frost. Sie schaute kurz über den fahlen Garten. Müssten nicht wenigstens die Pflaumenbäume blühen? Aber die Äste waren noch dunkel – nur Schnee und Reif leuchteten weiß. Sie eilte ins Haus und rief nach den Dienerinnen, die Kohlenpfannen und mehr Lampen bringen sollten. Sie sehnte sich nach Licht und Wärme, Sonnenschein, Farben und Blumen.
    Als sie sich ein wenig gewärmt hatte, bat sie die Dienerin, Masahiros Päckchen zu bringen. Sie band den Knoten auf und schob die seidene Verpackung weg. Darin war ein Fächer, ähnliche hatte sie in Harunas Haus gesehen. Er war wunderschön bemalt: Auf einer Seite betrachtete eine Frau im

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