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Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels

Titel: Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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zog die Augenbrauen hoch. »Hast du Neuigkeiten für uns?«
    Shizuka versuchte zu lächeln. »Ich sollte zuerst mit meinem Onkel sprechen.«
    Â»Ja, natürlich. Komm und setz dich. Ich bringe dir Essen und Tee und Kenji wird bald zu dir kommen.«
    Ihr Onkel war sechsundzwanzig, nur acht Jahre älter als sie. Wie die meisten Muto war er äußerlich unauffällig, mittelgroß und trügerisch leicht gebaut. Es gelang ihm, sanftmütig, fast gelehrt zu wirken, er konnte endlos über Kunst und Philosophie diskutieren, genoss Wein und Frauen, wurde aber nie betrunken und verliebte sich offenbar nie, obwohl es Gerüchte gab, dass er in seiner Jugend von einer Fuchsfrau fasziniert gewesen sei, und aus diesem Grund wurde ihm manchmal der Spitzname Fuchs gegeben. Seit vielen Jahren war er mit Seiko verheiratet, die auch aus der Mutofamilie stammte, und sie hatten ein Kind, Yuki, ein Mädchen von etwa acht. Allgemein hielt man es für ein Unglück, dass Kenji nicht mehr Kinder hatte, legitim oder illegitim – es lag bestimmt nicht an seiner mangelnden Aktivität, auch wenn die alten Frauen im Stamm murrten, er verteile seinen Samen zu großzügig, er solle sich auf ein Feld konzentrieren und dort säen –, denn in ihm schienen sich alle alten Fähigkeiten des Stamms in ungewöhnlich hohem Maß zu konzentrieren. Zudem hatte er die ebenso wichtigen Charakterzüge des Stamms, er war skrupellos und zynisch, und dass diese Eigenschaften nicht an künftige Generationen weitergegeben wurden, galt als höchst bedauerlich. Alle Hoffnungen richteten sich auf Yuki, sie wurde verwöhnt, besonders von ihrem Vater, ihre Mutter war weniger nachsichtig. Das Mädchen zeigte bereits Zeichen großen Talents, doch sie war dickköpfig und eigenwillig. Shizuka wusste, man fürchtete, sie werde nicht lange genug leben, um eigene Kinder zu haben, weil sie durch ihr eigenes Ungestüm und ihren Leichtsinn einen frühen Tod fände. Talente waren nutzlos, wenn sie nicht mit Charakter verbunden waren und durch Training beherrscht wurden.
    Yuki lief jetzt mit einem Tablett in den Händen herein.
    Â»Vorsichtig, vorsichtig«, sagte Shizuka und nahm es ihr ab.
    Â»Cousine!«, rief das Mädchen. »Willkommen!«
    Ihr Gesicht war lebhaft, mit dunklen Augen und schweren Brauen. Nicht schön, aber voller Leben und Energie. Das Haar war dick und sie trug es geflochten.
    Â»Mutter hat gesagt, du bist hungrig. Wir haben Reisbälle gemacht. Hier, iss. Der ist mit gesalzener Pflaume und der mit getrocknetem Tintenfisch.«
    Shizuka kniete sich nieder und stellte das Tablett aufden Boden. Yuki kniete sich neben sie, wartete mit kaum verborgener Ungeduld, dass Shizuka sich bediente, nahm dann einen Reisball und stopfte ihn in den Mund. Fast sofort sprang sie wieder auf und verkündete, sie werde Tee holen, lief aus dem Raum und stieß mit ihrer Mutter zusammen. Seiko schaffte es gerade noch, das Tablett mit Tee und Geschirr zu retten. Sie stellte es auf den Boden und gab ihrer Tochter einen Klaps.
    Â»Geh und sag deinem Vater, seine Nichte ist da«, schrie sie. »Und gehe, wie es sich für ein Mädchen schickt!«
    Â»Sie macht mich wahnsinnig«, sagte sie zu Shizuka. »Manchmal glaube ich, sie ist besessen. Natürlich verwöhnt ihr Vater sie. Er wünscht, sie wäre ein Junge, und behandelt sie wie einen. Aber sie wird sich schließlich nicht zu einem Mann entwickeln, oder? Sie wird eine Frau und sie muss lernen, sich entsprechend zu benehmen. Denk an meinen Rat, Shizuka: Wenn du Kinder hast, dann nur Söhne.«
    Â»Wenn man nur wählen könnte«, sagte Shizuka, ohne zu lächeln. Sie nahm die Teeschale und trank.
    Â»Setzlinge können ausgedünnt werden.« Seiko bezog sich auf die Praktik der Bauern, Neugeborene dem Tod zu überlassen, besonders wenn sie schon zu viele Mädchen hatten.
    Â»Aber der Stamm schätzt alle seine Kinder«, entgegnete Shizuka. »Mädchen ebenso wie Jungen.« Sie fror plötzlich und fürchtete, sie könne sich übergeben. Vor einem Jahr hatte sie in diesem Haus von Seiko einen Kräutertrank bekommen. Jetzt zitterte sie am ganzen Körper bei der Erinnerung.
    Â»Wenn sie begabt sind. Und gehorsam.« Seiko seufzte. Sie hörten Yukis Schritte, die klangen, als stapften Ponyhufe über den Hof. Das Mädchen blieb abrupt stehen, schlüpfte aus ihren Sandalen

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