Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
seinen Feldzug für das Frühjahr plante, auf den Tempel in Terayama, wo Otori Takeshi sich über die bittere Kälte und die harte Disziplin ärgerte, auf Maruyama, wo Lady Naomi merkte, dass sie ein weiteres Kind erwartete, auf die Ebene von Yaegahara, wo nur Wölfe und Füchse ihre Spuren hinterlieÃen, auf Kushimoto, wo Shigerus Frau Moe sich weigerte, die bohrenden Fragen ihrer Mutter über Ehe und Enkelkinder zu beantworten, sich die Ãngste ihres Vaters vor dem bevorstehenden Krieg anhörte und hoffte, der Krieg werde kommen und ihr Ehemann werde darin getötet, denn sie sah kein anderes ehrenhaftes Entkommen aus ihrer Ehe.
Der Schnee entzückte Akane, denn er würde Shigeru in Hagi und seine Frau in Kushimoto festhalten. Sie liebte den Winter trotz Kälte und Beschwernissen, sie liebte den Blick auf die schneebedeckten Dächer, die Eiszapfen, die von den Dachvorsprüngen hingen, die zarten Konturen der eisigen Ãste vor dem blassen Winterhimmel. Und was konnte mehr Vergnügen bereiten als der warme Körper ihres Liebhabers in einer kalten Nacht unter Bergen von Daunendecken, wenn der starke Schneefall ihn daran hinderte, nach Hause zu gehen?
Sie war froh, dass Moe fort war und es kein Zeichen einer Versöhnung oder, wichtiger, eines Kindes gab. Je länger die Ehe ohne Kind dauerte, umso gröÃer waren ihre Chancen auf die Erlaubnis, eins zu bekommen. Denn Shigeru musste Erben haben, damit seine Familie weiter bestand und der Clan stabil blieb. Sie musste den passenden Zeitpunkt wählen, genau im richtigen Moment feststellen, dass sie schwanger war, und ihm dann einen Sohn schenken.
Wenn das Wetter es erlaubte, besuchte sie den Alten, brachte ihm Holzkohle und gefütterte Kleidung, heiÃen Eintopf und Tee. Und sie kam mit den Geschenken zurück, die er ihr dafür gab und die sie geheim hielt: mumifizierte Wurzeln wie halb geformte Embryos, getrocknete Blätter und bitter schmeckende Samen, Quasten aus Menschenhaar, alles Talismane, die ihr helfen sollten, Shigerus Liebe einzufangen und das Kind zu beschützen, das daraus geboren werden sollte.
Sie teilte, wenngleich aus anderen Gründen, Shigerus Bestreben, Lord Shoichi und Lord Masahiro die Stadt verlassen zu sehen, und war wütend und enttäuscht, als der erste Schnee die Abreise verhinderte. Masahiro hatte keine Verbindung mehr mit ihr aufgenommen, aber sie war sich bewusst, dass er sie beobachten lieà und früher oder später eine weitere Bezahlung für seine Milde gegenüber Hayatos Familie verlangen würde.
Ihr Unbehagen wurde verstärkt durch eine undefinierbare Veränderung in Shigerus Haltung ihr gegenüber. Nichts deutete darauf hin, dass die Talismane funktionierten â eher war das Gegenteil der Fall. Akane sagte sich, es liege an der ständigen Beschäftigung mit Politik und Krieg, sie könne nicht von ihm erwarten, dass er der leidenschaftliche Junge blieb, der kurz davor gestanden hatte, sich in sie zu verlieben. Er genoss immer noch ihre Gesellschaft, war eigentlich immer noch leidenschaftlich im Bett, aber sie wusste, dass er sie nicht liebte â trotz all der Talismane, mit denen sie versucht hatte, ihn an sich zu binden. Er kam häufig zu ihr â Kiyoshige war in Chigawa, Lord Irie immer noch im Süden, Takeshi in Terayama und er hatte wenige Gefährten â und sie redeten wie immer, doch sie spürte, dass er etwas zurückhielt, er entwickelte sich weg von ihr. Sie glaubte nicht, dass sie ihn je wieder weinen sehen würde.
Ihre Beziehung etablierte sich so, wie es sein sollte. Akane konnte sich nicht darüber beschweren, sie hatte sich darauf eingelassen und dabei gewusst, wie es sein würde. Niemand hatte sie gedrängt oder gezwungen, doch sie hatte auf sehr viel mehr gehofft, und jetzt entfachte die neue Kälte in Shigerus Haltung ihre Liebe zu ihm. Sie hatte sich gesagt, sie würde nie den Fehler begehen, jemanden zu lieben, doch sie stellte fest, dass ihre Sehnsucht nach ihm, ihr Wunsch nach seinem Kind, ihr Verlangen nach seiner Liebe sie verzehrten. Sie wagte nicht, es zu äuÃern oder auch nur wieder über Eifersucht mit ihm zu reden. Wenn er nicht bei ihr war, bereitete ihr die Sehnsucht nach ihm körperlichen Schmerz. Wenn sie zusammen waren, tat ihr der Gedanke an seinen Abschied so weh, als würde ihr der Arm vom Körper gerissen. Doch sie zeigte nichts von ihren Gefühlen,
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