Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
hielt sie fest und zog sie an sich, als wolle er sie trösten. Sie war sich kaum seines Mundes an ihrem Nacken bewusst, spürte kaum seine Hände, die ihren Gürtel lösten und ihr Gewand hoben.Sie wusste, was er tun würde. Sie konnte ihn nicht aufhalten, sie brachte in ihrem Schmerz weder die Energie noch den Willen auf, ihm zu widerstehen. Sie wollte, dass es so schnell wie möglich vorbei war und er sie allein lieÃ. Wenn er ihr wehtat, machte das nichts aus: Kein Schmerz konnte dem nahekommen, den sie bereits fühlte.
Seine Lust machte ihn ungeschickt und schnell. Akane spürte nichts als Ekel. Die Begierde der Männer, die sie zuerst bemitleidet und dann geliebt hatte, erschien ihr jetzt nur verächtlich. Sie hasste alles, was damit zusammenhing: das Eindringen, die Nässe, den Geruch.
Die Matte wird fleckig sein, dachte sie. Ich muss sie austauschen. Aber sie wusste, dass sie das nie tun würde. Jemand anders würde sich darum kümmern müssen, nach ihrem Tod.
Während Masahiro seine Kleidung ordnete, sagte er: »Ich bin gewissermaÃen der Clanerbe geworden. Dieses Haus und seine Bewohner sind Teil meines Erbes.«
Akane schwieg.
»Bestimmt gewöhnen wir uns aneinander, Akane. Ich weiÃ, dass du eine sehr praktische Frau bist. Ich verlasse dich jetzt. Aber trauere nicht zu lange. An deinem Leben wird sich nichts ändern, wenn du vernünftig bist.«
Sie hörte, wie er ging, hörte, wie das Pferdegetrappel verklang, dann überlieà sie sich ihrem Schmerz, wehklagte und wiegte sich, riss an ihren Haaren und grub sich die Nägel in die Haut. Ihr Verstand verlieà sie und sie spürte, wie sie in die dunkle Welt der Hexerei und der Beschwörungen gezogen wurde. Von dort, wo sie lag,gingen ihre Blicke ständig zu einem Fleck â dem Platz im Garten, wo sie die Talismane des alten Priesters vergraben hatte. Sie hatte Shigeru an sich binden wollen, aber anscheinend hatte sie ihn damit verflucht. Sie hatte sein Begehren beherrschen wollen, doch jetzt war sie in die Falle ihrer eigenen Hexerei geraten. BarfüÃig lief sie in den Garten, kniete sich in den Schmutz und grub mit den Händen in der Erde. Die Schachtel roch modrig wie ein Sarg, der aus dem Grab geholt worden war. Als die Dienerinnen herauskamen und sie anflehten, ins Haus zu kommen, wütete sie und verfluchte sie mit einer Stimme, die nicht wie ihre klang, als wäre sie von einem Dämon besessen.
Haruna kam zurück. Die Dienerinnen sprachen leise mit ihr, worauf sie still vor sich hin weinte. Die Frauen entschieden, es wäre besser für Akane, den Ort zu verlassen, wo jeder Raum, jeder Winkel und jeder Gegenstand an ihren toten Liebhaber erinnerte und der zugleich Schauplatz der unaussprechlichen Vergewaltigung war. Akane wollte sich nicht von der Schachtel trennen, die sie aus der Erde gegraben hatte, doch mit ihr in den Armen lieà sie sich von Haruna in eine Sänfte helfen und zum Haus der Kamelien bringen. Im Haus war es still, alle Frauen trauerten, viele von ihnen waren nach Hause zurückgekehrt für die Beerdigungszeremonien, die überall in der Stadt abgehalten wurden. Haruna führte Akane in den Raum, in dem sie als Mädchen geschlafen hatte, wusch sie, zog ihr ein sauberes Gewand an und blieb bei ihr bis zum Morgengrauen. Die andere Umgebung schien Akane ein wenig zu beruhigen und schlieÃlich gab sie der Erschöpfung nach undschlief. Haruna legte sich neben sie und schloss ebenfalls bald die Augen.
Akane erwachte mit den ersten Sonnenstrahlen. Spatzen tschilpten aus den Kamelien im Garten und eine Grasmücke schrie durchdringend. Der Tag würde wieder warm werden. Bald begann die Regenzeit. Er wird nie mehr Sonne oder Regen spüren, dachte sie und der Schmerz presste seinen Schraubstock enger um ihr Herz.
Leise stand sie auf, nahm die Schachtel von dem Platz neben der Kopfstütze und schlüpfte aus dem Zimmer. Im Garten funkelte der Tau. Niemand war da, der sie sehen konnte, doch sie hinterlieà deutliche FuÃspuren auf dem Kies und im Gras.
Sie ging zur Unterkunft des alten Priesters, weckte ihn und verlangte, dass er jeden Zauber rückgängig mache, den er für sie angewendet habe. Ziemlich verstört von ihrem Verhalten versuchte er sie zu beruhigen, doch seine Berührung brachte sie noch mehr durcheinander. Ihr Wahnsinn verlieh ihr übermenschliche Kraft. Wie von einem Dämon besessen
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