Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
unbeholfen, weil Kenjis Lob ihn verlegen machte: »Ich bin dir mehr als dankbar dafür,dass du mir das Leben gerettet und mir geholfen hast. Ich hoffe, ich kann dich auch in Zukunft um diese Hilfe bitten. Aber was soll ich dir dafür anbieten?«
»Vielleicht nicht mehr als deine Freundschaft. Es wäre interessant, mit einem Krieger befreundet zu sein.«
Und alle meine Freunde sind tot, dachte Shigeru. »Würde der Stamm für mich arbeiten, wie du für Iida gearbeitet hast?«
»Wir würden bestimmt zu einem für beide befriedigenden Einverständnis kommen.«
»Hast du jetzt irgendwelche Informationen? Wird Iida in das ganze Mittlere Land eindringen? Muss ich meine Armee sofort wieder aufstellen?«
»Ich weià nicht viel â nur, was ich mit eigenen Augen in Yaegahara sah. Auch die Tohan hatten schreckliche Verluste. Die Otori mögen eine Niederlage erlitten haben, aber sie haben ihre Feinde mitgenommen. Iida wird fast mit Sicherheit verlangen, dass groÃe Teile des Mittleren Landes ihm überlassen werden: Chigawa, der südliche Teil des Landes, vielleicht sogar Yamagata â aber er wird nicht stark genug sein für einen neuen Angriff, nicht in absehbarer Zeit.«
»Sie waren tapfer«, sagte Shigeru.
»Das wurde nie bezweifelt. Auch nicht deine Tapferkeit. Aber wenn du überleben willst, musst du dir andere Eigenschaften aneignen: Scharfsinn, Verschlagenheit und vor allem Geduld.«
»Vor allem Verschlagenheit«, bemerkte Shigeru. »Vielleicht kannst du mich das lehren.«
»Ja, vielleicht«, antwortete Kenji.
KAPITEL 32Â
Als Berichte vom Schlachtfeld kamen, begann in der Stadt Hagi die Trauer. Menschen weinten auf den StraÃen, eilten zum Gebet zu den Schreinen, schlugen Gongs und Glocken, um die Götter zu wecken und an die Otori zu erinnern. Die Mutigeren bewaffneten sich mit Knüppeln und Messern und Dorfbewohner strömten aus den umliegenden Regionen in die Stadt.
Nach ein paar Tagen kehrten die Ãberlebenden der besiegten Armee in kleinen Gruppen zurück. Bei den ersten war Miyoshi Satoru mit seinem ältesten Sohn, dem vierzehnjährigen Kahei. Miyoshi war einer von Lord Shigemoris engsten Ratgebern und zählte zu Lord Shigerus Lehrern. Tief betrübt teilte er Lady Otori mit, dass ihr Mann gefallen war.
»Und Lord Shigeru?«, fragte sie ohne ein Zeichen von Trauer.
»Man weià nichts Genaues über ihn. Das kann ich Ihnen nicht verheimlichen. Wir fürchten das Schlimmste.«
Endo Chikara kehrte ebenfalls zurück und die beiden Gefolgsleute bemühten sich, so schnell wie möglich zu beschützen, was vom Clan noch übrig war. Lady Otori war natürlich entschlossen, Takeshis Stellung als Erbe zu sichern, doch Takeshi war erst vierzehn: Man musstesich vorübergehend für einen Regenten entscheiden. Sobald Lord Shoichi und Lord Masahiro die Neuigkeit hörten, eilten sie ins Schloss zurück, um dafür zu sorgen, dass keine Verhandlungen ohne sie stattfanden. Das Ausmaà der Katastrophe lieà sich nicht beschönigen. Ihr Clan und sein junger Erbe hatten sich den Zorn und die Feindschaft des mächtigsten Kriegsherrn in den Drei Ländern zugezogen. Sie würden alle schwer gestraft â darüber gab es keinen Zweifel â, doch sie wollten alles nur Mögliche tun, um die weitere Existenz des Clans zu sichern.
Shigemori war tot, Shigeru vermisst, Takeshi noch minderjährig und sowieso eine Wochenreise entfernt in Terayama, das höchstwahrscheinlich in allernächster Zukunft den Tohan gehören würde. Shoichi und Masahiro waren ungeachtet ihrer Schwächen Otorilords; sofort wurden sie als Interimsregenten eingesetzt und dazu autorisiert, Verhandlungen mit Iida Sadamu einzuleiten.
Wie man sich dem Eroberer nähern sollte, war das nächste Problem. Lord Shoichi schlug Kitano aus Tsuwano vor, der sich und seine Männer aus der Schlacht herausgehalten hatte â das lieà sich als Neutralität interpretieren. Shoichi wusste bereits, dass Kitano mit Inuyama sympathisierte. Ebendiese Neigung hatte Shigeru vor drei Jahren so sehr gekränkt.
Endo brach am nächsten Tag nach Tsuwano auf, um erste Gespräche zu führen, während Shoichi und Masahiro die Rückkehr ihrer Frauen und Familien ins Schloss vorbereiteten. Doch während Masahiro auf die Ankunft seiner Frau wartete, stattete er Akane einen Besuch
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