Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
durchwühlte sie die Hütte und suchte etwas, das ihren Schmerz lindern könnte. Sie warf seine Krüge und Tränke auf den Boden und verstreute die getrockneten Wurzeln und Samen. Als der Alte sich bückte, um sie aufzuheben, griff sie nach seinem Schälmesser und schnitt ihm die Kehle durch. Ihr kam es vor, als hätte sie Masahiro getötet, während er sie vergewaltigte, und nichts als sein Blut könnte ihre ausgedörrten Lippen befeuchten. So soll er immer wieder sterben in allen seinen Leben, verfluchte sie ihn, nie soll er Frieden oder Rettung finden, seine Kinder sollen ihn hassenund seinen Tod wünschen. Dann legte sie die Lippen an die frisch geschlagene Wunde und saugte daran.
Sie nahm die Schachtel mit den Talismanen, die Shigeru an sie gefesselt und seine Frau von ihm abgewandt hatten, ging zum Schrein und betete um Vergebung, um die Erlösung aller. Sie weinte um ihre tote Liebe und die Tränen brachten Klarheit. Ich hatte nicht vor, dich zu lieben, sagte sie ihm, aber ich habe es getan, ganz und gar. Jetzt bist du tot und ich werde ohne dich nicht weiterleben. Vergib mir für die Rolle, die ich bei deinem Tod gespielt habe. Das Salz ihrer Tränen vermischte sich in ihrem Mund mit dem Blutgeschmack.
Sie drückte die Schachtel an sich wie ein Kind, kletterte an den Rand des Kraters, der nach Schwefel roch, und warf sich hinein.
KAPITEL 33Â
Kenji begleitete Shigeru bis zum südlichen Ufer des Flusses. Sie kamen zur Zeit der nächtlichen Ebbe an, als die Luft nach Schlamm und Salz roch. Ein drei Tage alter Mond hing tief über dem Meer. Shigeru nahm nur ungern Abschied, er hätte seinen Gefährten gern etwas länger bei sich behalten. Er fühlte, dass zwischen ihnen tatsächlich eine unerklärliche Bindung entstanden war und vermutete, er würde in den kommenden Monaten noch Hilfe brauchen, eine Hilfe, die nur der Stamm geben konnte â vor allem Informationen.
»Wohin wirst du jetzt gehen? Im Haus meiner Mutter wärst du ein willkommener Gast.«
»Es ist besser für unsere Freundschaft, wenn sie gegenwärtig geheim bleibt«, antwortete Kenji. »In Hagi gibt es genug Unterkünfte für mich.«
»Wo kann ich dich erreichen?«
»Ich werde dir jemanden schicken. Ich werde irgendwie durch dein Haushaltspersonal mit dir in Verbindung bleiben.«
Shigeru dachte sofort an Muto Shizuka und war voller Bedenken â selbst wenn er Informationen von Kenji bekam, wie würde er dann wissen, ob er sie glauben konnte? Wie lieà sich der Stamm von ihm kontrollieren und nutzen, wenn er nichts über ihn wusste?
»Nun, noch einmal meinen Dank â für das Schwert, für all deine Hilfe.«
»Lord Otori.« Kenji verbeugte sich formell. »Gib Acht auf dich«, fügte er vertraulich hinzu, drehte sich um und ging davon.
Shigeru schaute ihm einen Moment nach und sah, wie die Gestalt sich teilte. Zwei identische Männer gingen nebeneinander. Beide hoben die Hand und winkten. Sie vereinten sich wieder und Kenji, der Fuchs, verschwand.
Er gibt an, dachte Shigeru, aber groÃartig ist diese Fähigkeit schon!
Shigeru ging zuerst zum Haus seiner Mutter, er überquerte den Fluss bei dem Fischwehr, wobei er wie immer an den Tag des Steinkampfes zurückdachte, an dem Takeshi fast und Mori Yuta tatsächlich ertrunken war. Jetzt war auch der zweite Sohn der Mori tot â¦
Er wollte nicht wie ein Flüchtling ins Schloss zurückkehren. Am Morgen würde er die entsprechenden Gewänder anlegen und als Führer des Clans dorthin reiten.
Die Hunde bellten triumphierend und die Wachtposten öffneten das Tor, als sie seine Stimme hörten. Zuerst sahen sie verblüfft aus, dann spiegelte sich Rührung in ihren Gesichtern. Zwei von ihnen, alte grauhaarige Männer, zu alt zum Kämpfen auf dem Schlachtfeld, lieÃen die Tränen über ihre Wangen strömen, während sie auf die Knie sanken.
Das Haus erwachte, Lampen wurden angezündet, Chiyo weinte, während sie für heiÃes Wasser und Essensorgte. Ichiro vergaà sich so weit, dass er seinen ehemaligen Schüler umarmte. Shigeru war von den Toten zurückgekehrt und keiner konnte es richtig glauben.
Sofort wurden Boten zum Schloss geschickt und Shigerus Mutter kam bei Tagesanbruch. Er hatte gebadet, ein paar Stunden geschlafen und aà mit Ichiro gerade die erste Mahlzeit des Tages, da wurde ihre Anwesenheit
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